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Konflikte

Wenn aus Störungen Konflikte werden – ein Lernanlass?

Wenn ein Teilnehmer zu spät zum Unterricht kommt, kann das eine Störung sein. Ein punktuelles, einmaliges Ereignis, das den Lehr-Lernprozess nicht langfristig beeinträchtigt. Kommt er permanent ohne Begründung zu spät zum Unterricht, bekommt dies eine konfliktträchtige Dimension, die der Bearbeitung bedarf. Der Umgang mit Konflikten gehört zu den immer wiederkehrenden Herausforderungen in der Bildungsarbeit und ist deshalb Teil der pädagogischen Kernkompetenzen. Ein Repertoire an Interventionsmöglichkeiten und vor allem ein gutes Maß an professioneller Gelassenheit sind gute Voraussetzungen, angemessen und souverän mit Konflikten umzugehen.

Landschaft im Dämmerlicht, ein Blitz zuckt über den Himmel

Konflikte im Kurs können Anlass für neues Lernen sein. (Bild: RPN/pixabay.com, CC 0)

DefinitionWas ist das?

Konflikte gehören zum Alltag – nicht nur in Lern-Lehrsituationen. Eine Gesellschaft, in der alle Individuen die gleiche Wahrnehmung, die gleiche Gefühlslage und das gleiche Verhalten aufweisen, wäre vielleicht eine harmonische Gesellschaft, mit Sicherheit aber eine sehr langweilige. Macht für den einen die Unterschiedlichkeit der Individuen den Reiz einer Gesellschaft aus, führt sie für den anderen zu Störungen und Konflikten. Dabei kann Unterschiedlichkeit durch unterschiedliche Interessen, Positionen und Haltungen oder auch Verhaltensweisen wahrgenommen werden.

Das gilt auch für Lerngruppen Erwachsener, und zwar nicht nur in den ohnehin angespannten Angeboten, wie man sie in Kursen mit begrenzt freiwilliger Teilnahme in der Erwachsenenbildung oftmals findet. Ein konstruktiver Umgang mit Konflikten kann erlernt werden. Das gilt für Kursleitende und für Teilnehmende. Für Kursleitende ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass Konflikte nicht nur etwas Destruktives oder Verletzendes sind, sondern auch eine konstruktive Wirkung haben können.

Wir unterscheiden zwischen inneren Konflikten (auch „intrapsychisch“ oder „intrapersonal“) und sozialen Konflikten (auch „interpersonal“).

Innere Konflikte entstehen, wenn eine Person sich zwischen zwei Zielen entscheiden muss, die sie für gleich wertvoll hält, aber nicht gleichzeitig erreichen kann, oder wenn sie sich zwischen zwei Gegebenheiten entscheiden muss, die sie beide als übel ansieht.

Soziale Konflikte werden je nach Disziplin, die sich damit beschäftigt (Pädagogik, Psychologie, Soziologie, Konfliktforschung u.a.), unterschiedlich definiert. Eine psychologisch geprägte Definition beschreibt soziale Konflikte sehr treffend als

  • Spannungssituationen,
  • in denen zwei oder mehr Parteien,
  • die voneinander abhängig sind,
  • mit Nachdruck versuchen,
  • scheinbar oder tatsächlich unvereinbare Pläne
  • zu verwirklichen und
  • sich dabei ihrer Gegnerschaft bewusst sind“

(Rüttinger & Sauer, 2016, S. 7).

Im Folgenden fokussieren wir auf die sozialen Konflikte, die sich in Angeboten der Erwachsenenbildung oft ergeben. Der richtige Umgang mit sozialen Konflikten ist wichtig, ermöglicht er doch eine Verbesserung von Lehren und Lernen im Kurs. 

GeschichteWoher kommt das?

Konflikte haben die sozialen Beziehungen der Menschen von Beginn an begleitet. In der biblischen Geschichte ist bereits die erste Erzählung der Vertreibung aus dem Paradies eine Konfliktgeschichte, der tödliche Konflikt zwischen den Brüdern Kain und Abel ist gleich die nächste Erzählung. Analysiert man die Zehn Gebote, so wird deutlich, dass hier zentrale Konfliktfelder des menschlichen Zusammenlebens geregelt werden. Sie könnten sozusagen als Ergebnisse einer Konfliktforschung interpretiert werden. Wissenschaftliche Konfliktforschung wurde bereits Anfang des 19. Jahrhunderts in den USA von Völkerrechtlern etabliert, bei denen Ursachenforschung zu kriegerischen Konflikten im Mittelpunkt stand. Die Konfliktpsychologie hat ihren Ursprung in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Konfliktforschung als Teil der Politikwissenschaft und der politischen Soziologie hat sich erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs und des beginnenden „Kalten Krieges“ entwickelt (Ost-West-Konflikt). Heute ist Konfliktforschung auch vertreten in den Kulturwissenschaften, der Theologie und der Philosophie. In der Erwachsenenbildung wird das Thema „Konflikt“ vor allem in der politischen Bildung aufgegriffen, in der Erwachsenenbildungsforschung jedoch bislang kaum explizit behandelt.

MerkmaleWie geht das?

Konflikte sind ein Bestandteil des Lernens in Gruppen. Sie entstehen meist aus Differenzen zwischen den Beteiligten, etwa bezogen auf individuell unterschiedliche Wahrnehmung, Deutung und Bewertung von Ereignissen und Erlebnissen. Konflikte können von einzelnen Teilnehmern ausgehen oder von Gruppen. Auch Kursleitende können mit ihrem Verhalten Ursache für Konflikte sein. Konflikte können zudem durch methodisch-didaktische Faktoren wie überfrachtete Curricula, Stofffülle, Zeitdruck, zu große Lerngruppen und ungeeignete Lern-Lehrräumlichkeiten ausgelöst werden. Schließlich können äußere Rahmenbedingungen Konflikte auslösen, so etwa Lärmbelästigung von außen und die nicht funktionierende Technik, die bspw. eine vorbereitete PowerPoint-Präsentation eines Lernenden nicht funktionieren lässt.

In unseren Seminaren zum Thema nannten Kursleitende als zentrale Ursachen immer wieder:

  • unklare, nicht transparente Erwartungen und Interessen von Lernenden
  • unterschiedlich ausgeprägte Lernbereitschaft
  • „Zwangs“-Teilnahme am Kurs (wenn Langzeitarbeitslose bspw. das dritte Mal vom Jobcenter in ein Bewerbungstraining geschickt werden und bei Nicht-Teilnahme Leistungskürzung droht, sind Konflikte im Kurs angelegt)
  • unterschiedliches Sozialverhalten unter Teilnehmenden
  • Animositäten zwischen Teilnehmenden (es gibt immer wieder Lernende, die sich im Wortsinn „nicht riechen können“)

In der Praxis der Bildungsarbeit zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Konflikte gehäuft auftreten, ungleich verteilt ist. Bei der Entwicklung von Gruppen wird in der Gruppendynamik  von fünf Phasen ausgegangen:

  1. Forming = Einstiegsphase
  2. Storming = Auseinandersetzungs- und Streitphase
  3. Norming = Regelungsphase
  4. Performing = Leistungsphase
  5. Adjourning = Auflösungsphase

Die Phase des Storming ist konfliktträchtig, weil es hier um die Rollen und den Status des Einzelnen in der Gruppe geht und informelle Regeln entwickelt werden. Wenn in dieser Phase ein konstruktiver Umgang mit Konflikten erfolgt oder eingeübt wird, dann wirkt das positiv auf zukünftige Konfliktsituationen in der Gruppe.

HandlungsfelderWo brauche ich das?

Soziale Konflikte sind vergleichbar mit Sommergewittern. Ein unerträglich schwüler Sommertag, der unser Wohlbefinden beeinträchtigt, geht mit einem Mordsgewitter zu Ende. Es hagelt, der Blitz schlägt ein und wirkt zuweilen zerstörend, aber anschließend ist die Luft wieder frisch.

Je mehr sich Kursleitende dieser produktiven Seite von Konflikten bewusst sind, desto weniger tendieren sie dazu, im Unterricht sich abzeichnende Konflikte zu verdrängen, ihnen auszuweichen oder sie nicht wahrnehmen zu wollen und damit den richtigen Zeitpunkt zu einer Intervention zu verpassen. Verdrängte Konflikte verschwinden nicht, ihre Nicht-Bearbeitung oder Tabuisierung führt häufig dazu, dass sie zu einem unerwarteten Zeitpunkt manifest werden und eine Dimension erreichen, die eine Konfliktlösung noch schwieriger macht.

Der Umgang mit Konflikten kann nicht rezepthaft gelernt werden, weil das individuelle Verständnis von Konflikten die Haltung zum Konflikt prägt. Kommunikationsmodelle helfen Störungen und Konflikte in der Erwachsenenbildung zu verstehen. Ein Beispiel für ein solches Kommunikationsmodell ist das von Watzlawick. Er unterscheidet etwa eine Sach- von einer Beziehungsebene. Beide Ebenen lassen sich in jedem Kommunikationsprozess, also auch in der Interaktion in Kursen finden. Auf der Sachebene werden Themen und Inhalte bearbeitet. Wahrnehmbar ist das, was explizit zur Sprache kommt. Wirksam ist auch das, was auf der Beziehungsebene geschieht und meist nicht offen sichtbar ist, aber mit Körperhaltung, Mimik, Gestik und scheinbar unangemessenem Verhalten zum Ausdruck gebracht wird. Alle Beteiligten versuchen diese Signale auf der Beziehungsebene zu deuten und zu interpretieren. Dabei können Missverständnisse entstehen:

  • Ist der abschweifende Blick eines Teilnehmers ein Zeichen von Langeweile oder von konzentriertem Nachdenken?
  • Deutet der unangemessen freche Tonfall auf einen verborgenen Konflikt oder Machtkampf hin oder ist er Ausdruck einer hohen emotionalen Beteiligung der Teilnehmerin in der Auseinandersetzung mit dem Thema?

Die Unterscheidung von Sach- und Beziehungsebene in Kommunikationsprozessen kann helfen, Störungen und Konflikte zu vermeiden und zu bearbeiten. Idealerweise wird die Kursleitung auf der Sachebene agieren, eine klare und sachliche Sprache wählen, Transparenz über die Planung und Gestaltung der Lernsituation herstellen, das gemeinsame Thema in den Mittelpunkt stellen und den roten Faden aufzeigen. Gleichzeitig entwickelt sie eine hohe Aufmerksamkeit für die untergründige Beziehungsebene, nutzt ein offenes Lernklima und beteiligungsorientierte Lernverfahren, gibt persönlichen Interessen Raum, spricht wahrgenommene Störungen auf der Beziehungsebene an und hilft, Missverständnisse zu klären.

In der Arbeit mit Geringqualifizierten kann eine Konfliktbearbeitung dadurch erschwert werden, dass das „rhetorische Machtgefälle“ zwischen Dozenten und Lernenden diesen das Gefühl gibt, gegen die rhetorische Kompetenz des Dozenten „eh nicht anzukommen“. Der Umgang mit Sprache als Medium der Konfliktlösung wird erschwert, wenn das Verfügen über „Sprachgewalt“ in einer Lerngruppe sehr unterschiedlich verteilt ist. Und nicht selten sind es Geringqualifizierte aufgrund ihrer Sozialisation nicht gewohnt, Konflikte verbal zu bearbeiten. Kompromisse sind in ihrem Herkunftsmilieu oft als „einknickendes Nachgeben“ negativ konnotiert. 

DiskussionWas wird diskutiert?

Blättert man die Rubrik „Neue Bücher zur Erwachsenenbildung“ in den DIE Zeitschriften der vergangenen Monate und Jahre durch oder macht Recherchen in gut sortierten Universitätsbibliotheken, kann der Eindruck entstehen, Konflikte seien kein so relevantes Thema in der Erwachsenenbildung, auf das mit entsprechenden neuen Publikationen reagiert werden sollte. Diskutiert werden Konflikte und Konfliktlösungsmethoden in der Quartiersarbeit (z.B. Streitschlichterprogramm), in der Arbeit mit gefährdeten Jugendlichen (z.B. Täter-Opfer-Ausgleich) und in der Schule (z.B. FAUSTLOS-Kompetenzprogramm für Grundschulen).

Über Gründe, warum das Thema Konflikte in der Erwachsenenbildung wenig präsent ist, lässt sich nur spekulieren. Hufer führt das u.a. darauf zurück, dass die politische Bildung (siehe Woher kommt das?) in der Erwachsenenbildung „zunehmend marginalisiert wurde. Wahrscheinlich auch, weil statt einer emanzipatorischen Bildungsidee ein funktionalistischer Kompetenzbegriff vorherrscht“ (Hufer, 2015, S. 30f.). Dies ist eine für den Bereich der politischen Bildung nachvollziehbare Begründung, erklärt aber nicht, warum auch in den anderen Feldern der Erwachsenenbildung das Thema Konflikte zumindest in der Literatur so gut wie keine Rolle spielt. Vielleicht sind die Konfliktpotenziale kleiner geworden, weil sich das Prinzip der Teilnehmer- und der Kompetenzorientierung zunehmend in der Praxis durchsetzt. In hoch individualisierten Gesellschaften wie der unsrigen mit zunehmenden sozialen Ungleichheiten können Konflikte auch der Humus für gesellschaftliche Fortschritte sein. Dies kann den Blick dafür schärfen, Konflikte nicht nur unter ihren destruktiven Aspekten zu analysieren, sondern auch als eine Möglichkeit der Kommunikation zu verstehen, die dazu beiträgt, die Unterschiedlichkeit(en) offenzulegen, um – auch als Lehrender – z.B. Umstände, Haltungen und Handlungen anzupassen.

Internationale BezügeWie sieht man das woanders?

In einem Erfahrungsbericht aus der Schweiz wird betont, dass Kursgruppen keine therapeutischen Settings sind, in denen man allem auf den Grund gehen muss. Die Kunst, Widerstände zuzulassen und sie produktiv zu machen, wird darin gesehen, anderen zuzugestehen, dass sie gute Gründe für ihr Verhalten und ihre Einschätzungen haben, auch wenn man selbst diese Gründe nicht kennt oder teilt. Auf der Basis dieses Zugeständnisses kann aber auch Mitverantwortung für die Gestaltung der Zusammenarbeit eingefordert werden. 

Ein aus Österreich stammender Erfahrungsbericht  plädiert für einen konstruktiven und kreativen Umgang mit Störungen und Konflikten mit dem Ziel, den Wert und das Potenzial von Differenzen deutlich zu machen. Die Kollegen zeigen dazu einige Möglichkeiten auf, z.B. Methoden der Deeskalation wie direkte Intervention oder moderierte Gespräche zwischen Konfliktpartnern, präventives Vorgehen wie gemeinsame Erarbeitung von Regeln des konstruktiven Umgangs miteinander. 

CC BY-SA 3.0 by Rosemarie Klein und Gerhard Reutter für wb-web


Service

Zur Reflexion

  • Mit welchen Gefühlen erleben Sie Störungen und Konflikte im Kursalltag?

  • Wie sind Ihre Erfahrungen damit, Konflikte als Lernanlässe zu nutzen?

Literaturliste

  • Szepansky, W.-P. (2010). Souverän Seminare leiten. Bielefeld: W. Bertelsmann.

    In neun Kapiteln beschreibt der Autor konfliktträchtige Seminarsituationen und gibt Anregungen, wie sich Lehrende dazu verhalten können. Seine Anregungen zum Umgang mit solchen Situationen basieren auf einem andragogischen Grundverständnis, das sich durch Respekt vor den Lernenden als Individuen mit eigenen Interessen und Zielen auszeichnet und das bspw. von Überzeugen anstelle Überreden ausgeht. Der Autor macht deutlich, dass es keine Rezepte gibt, wohl aber eine Fülle professionellen Handwerkszeugs, das man nutzen kann. So gibt er vielfältige methodische Hinweise, skizziert praktische Beispiele, zeigt Interventionsmöglichkeiten auf und gibt Anregungen zur eigenen Reflexion.


Quellen

Hufer, K.-P. (2015). Konflikt und Konfliktfähigkeit. Vom Verschwinden einer Kategorie. DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung, 1, 29–31.

Rüttinger, B. & Sauer, J. (2016). Konflikt und Konfliktlösen – Kritische Situationen erkennen und bewältigen. Wiesbaden: Gabler.

Szepansky, W.-P. (2010). Souverän Seminare leiten. Bielefeld: W. Bertelsmann.

Watzlawick, P., Beavin, J.H. & Jackson, D.D. (1969). Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien. Bern: Huber.


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