Buchvorstellung

Alphabetisierung und Grundbildung am Arbeitsplatz

Das Bild zeigt das Buchcover.

Eine bezahlte Arbeit zu haben ohne ausreichend Lesen und Schreiben zu können, scheint in der modernen Arbeitswelt kaum möglich zu sein. Aber: Weit über die Hälfte der 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten ist in Beschäftigung. Was wissen eigentlich die Kollegen und Kolleginnen, die Vorgesetzten und die Personalverantwortlichen über diese Problematik und wie gehen sie in der betrieblichen Praxis damit um? Diesen Fragen ist diese Studie nachgegangen und hat die Beschäftigtengruppen in Fragebögen und Interviews antworten lassen.

Die Autoren sind in verschiedenen Bereichen der Lese- und Medienforschung tätig. Simone C. Ehmig ist Verantwortliche und Leitung des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen. Carolin Seelmann ist an diesem Institut als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Bis Mai 2014 war Lukas Haymann ebenfalls als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Lese- und Medienforschung beschäftigt.

Zielgruppe Arbeitgeber

Die Studie richtet sich insbesondere an Arbeitgebende, die von der genannten Thematik in ihren Betrieben wissen oder diese vermuten sowie an der arbeitsorientierten Grundbildung Interessierte und Lehrende, die sich vertiefend mit dieser Problematik beschäftigen wollen.

Inhalt und Aufbau

Inhaltlich unterteilt sich die Studie in vier übergeordnete Segmente, welche wiederum in verschiedene Teilbereiche gegliedert sind. Das erste Kapitel bezieht sich auf Hintergrund und Zielsetzung der Studie und beschreibt die aktuelle Situation der in Deutschland lebenden funktionalen Analphabeten. Zunächst wird Bezug auf die im Jahr 2011 veröffentlichte leo.-Level-One Studie der Universität Hamburg genommen, um die Größenordnung der erwerbsfähigen Erwachsenen ohne ausreichende Lese- und Schreibkenntnisse zu definieren und einzugrenzen. Hervorgehoben wird, dass die bereits bestehenden Angebote verschiedener Bildungseinrichtungen nicht ausreichen, um den tatsächlichen Bedarf der funktionalen Analphabeten zu decken bzw. diese Angebote nicht ausreichend von der genannten Zielgruppe angenommen werden. Des Weiteren wird die Notwendigkeit betont, eine effektive Ansprache der Zielgruppe zu entwickeln, um somit möglichst viele Betroffene zu mobilisieren, die vorhandenen Defizite anzugehen.

Im zweiten Kapitel wird die Studie näher vorgestellt und die Repräsentativität der Befunde untersucht. Zentral wird den Fragen nachgegangen, ob und in welchem Ausmaß das berufliche Umfeld über die beschäftigten funktionalen Analphabeten Bescheid weiß und welchen Einfluss dies auf den Arbeitsablauf hat. Zusätzlich erfasst die Studie, welche Gründe das berufliche Umfeld für die vorhandenen Defizite vermutet, und stellt daran anschließend die mögliche (und auch tatsächlich gegebene) Unterstützungsbereitschaft heraus.

Problem wird nicht tabuisiert

Die zentralen Ergebnisse der Studie sind im dritten Kapitel aufgelistet: Die Studie hat die Annahme widerlegt, dass es sich bei der Thematik der funktionalen Analphabeten um ein „verstecktes und tabuisiertes Problem“ (S.28) handelt. Um den negativ konnotierten Begriff des Analphabetismus zu umgehen und somit Störungen in Form von Verleugnung dieses bestehenden Problems zu verhindern, wählt die Studie zur Bezeichnung dieser Personengruppe den Begriff „Menschen mit Lese- und Schreibdefiziten“. Deutlich wurde durch die Studie, dass 34 Prozent der Arbeitnehmer jemanden aus der genannten Gruppe im eigenen Arbeitsumfeld kennen (vgl. S. 28). Ebenfalls wissen 42 Prozent der Arbeitgebenden darüber Bescheid, dass Beschäftigte mit geringen oder keinen Lese- und Schreibkompetenzen in ihrem Unternehmen arbeiten.

Im vierten Kapitel „Zusammenfassung und Folgerungen“ werden unter anderem Chancen und Grenzen im Umgang mit funktionalen Analphabeten im Betrieb vorgestellt. Die Tatsache, dass viele der befragten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wenig oder nichts Ungewöhnliches daran finden, Kollegen mit unzureichenden Lese- und/oder Schreibkompetenzen zu haben, macht deutlich, dass Stigmatisierung oder Ausgrenzung der funktionalen Analphabeten vielleicht ein gesellschaftliches, aber kein betriebliches Problem darstellt (vgl. S. 65). Durch diese Sichtweise, die ebenfalls bei den Arbeitgebern vorhanden ist, bestehen „gute Chancen für die Platzierung von Alphabetisierungs- und Grundbildungsangeboten in Unternehmen“ (S.65). Die Grenzen bestehen darin, dass die Finanzierung zunächst geklärt werden muss. Häufig ist es so, dass betroffene Unternehmen „zurückhaltend gegenüber Investitionen in Grundbildungsmaßnahmen“ (S.65) sind und erwarten, dass die Teilnehmenden die Kosten teilweise selbst tragen müssen.

Berufliches Umfeld sensibilisiert

Die Studie informiert Interessierte über die Bedeutung und Situation funktionaler Analphabeten in Betrieben und den Umgang von Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit dieser Problematik. Entgegen der Annahme, dass es sich um ein Tabuthema handle, wird herausgestellt, wie das berufliche Umfeld mögliche auftretende Probleme handhabt. Diese Studie will Arbeitgebende auf die betroffene Personengruppe aufmerksam machen und darauf hinweisen, dass Fördermaßnahmen zur Aufbesserung der vorhandenen Defizite zur Verfügung stehen. Ihre Lektüre ist ein Muss für alle, die in ihrer Arbeit Unternehmen für Grundbildungsangebote gewinnen wollen.

CC BY-SA 3.0 by Ellen Schmidt für wb-web


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