Handlungsanleitung

Differenzierung und Verantwortungsteilung

Heterogenität, also die Unterschiedlichkeit der Teilnehmenden, ist immer schon ein Thema der Erwachsenenbildung. Oft wird es allerdings unter dem Aspekt "Heterogenität als Störung" behandelt. Dabei ist die Heterogenität der Teilnehmenden eine Chance für die Bildungsarbeit.

Die vielen Methoden, die zum konstruktiven Umgang mit Heterogenität entwickelt wurden, lassen sich zwei bewährten Wegen zuordnen:

  • Individualisierung mithilfe äußerer und innerer Differenzierungen
  • Verantwortungsteilung und Förderung der Selbststeuerungskompetenzen.

Beide können in der Bildungspraxis mit Erwachsenen gut miteinander verknüpft werden.

Methoden der äußeren und inneren Differenzierung

Äußere Differenzierung soll Heterogenität minimieren. Die äußere Differenzierung erfolgt durch

  • Selektion von Lernenden und Bildung „homogener“ Lerngruppen,
  • Segregation der Angebote in unterschiedliche Niveaustufen oder Level.

Die äußere Differenzierung ist zum Beispiel im Fremdsprachen- und Alphabetisierungsunterricht üblich. Mithilfe von Einstufungstests wird hier versucht, der Heterogenität im Bereich des Vorwissens gerecht zu werden mit dem Ziel, Lernende in das passende Lernangebot zu verweisen. Die äußere Differenzierung nach Sprach- oder Schriftsprachstand ändert jedoch nicht viel an der Heterogenität der Gruppen in Bezug auf weitere Kriterien wie Lerntyp, Lerngewohnheit, Lernhaltung, persönliche Motivation, individuelle Ziele.

Weil es in der Regel nicht Aufgabe der Kursleitung ist, über äußere Differenzierungen zu entscheiden, ist die nächste Form der Differenzierung für den Kursalltag bedeutender.

Innere Differenzierung oder Binnendifferenzierung ermöglicht Individualisierung. Die Binnendifferenzierung umfasst alle Differenzierungsformen innerhalb einer gemeinsam unterrichteten Gruppe, also vielfältige Methoden, um mit den Unterschieden der Lernenden umzugehen, ohne die gesamte Gruppe dauerhaft aufzuteilen (vgl. Klafki/Stöcker 1991; Demmig 2007, S. 16f.). In der Erwachsenenbildung ermöglicht sie Individualisierung, weil sie die Unterschiede bewusst für didaktisches Handeln nutzt mit dem Ziel, für jeden Lernenden die Chancen für erfolgreiches Lernen zu optimieren. Sie kennt vielfältige Wege und ist voraussetzungsvoll.

Heterogenität hat – wie beschrieben – viele Gesichter. Entsprechend vielfältig sind die Möglichkeiten, durch entsprechende Binnendifferenzierung diese unterschiedlichen „Gesichter“ zu berücksichtigen. Binnendifferenzierung kann sich beziehen auf:

  • Leistungsanforderungen/Schwierigkeitsgrade (Niveaudifferenzierung): z.B. durch Aufgaben und Übungen, die hinsichtlich ihrer Quantität (Zahl der Aufgaben), ihrer Qualität (Anspruchsniveau der Aufgaben), des Umfangs der Unterstützungsleistung und der Zeit für die Bearbeitung unterschiedlich sind, also die diesbezüglichen Differenzen zwischen Lernenden berücksichtigen.
  • Lernthemen: z.B. wird ein Lernthema in Unterthemen/verschiedene Bearbeitungsfragen aufgeteilt; diese bearbeitet die Lerngruppe arbeitsteilig. Oder ein anderes Setting: Lernende wählen aus alternativen Lernthemen das für sie passende und interessante aus, jeder verfolgt sein Thema.
  • Lernziele: Der Kurs ist in hohem Maße individualisiert, die Lernenden verfolgen ihre je eigenen Ziele.
  • Lern-Medien und Lern-Materialien: bspw. teilt sich die Lerngruppe in Bezug auf unterschiedliche Erarbeitungs- und Präsentationstechniken auf (mündlich, schriftlich, szenisch etc.) oder es stehen zur Erarbeitung eines Themas in einem Lernquellenpool unterschiedliche Materialien zur Erschließung des Wissens zur Verfügung.
  • Sozialformen: Lernende wählen oder entscheiden mit, in welcher Sozialform sie ein Thema oder eine Aufgabenstellung erarbeiten wollen – in Gruppen-, Kleingruppen-/Tandem- oder Einzelarbeit.
  • Methoden: dazu gehören auch unterschiedliche Aufgabentypen (geschlossene/offene).
  • Lernzeiten: die Lernenden werden eingeladen, Lernaufgaben anhand von bereitgestelltem Lernmaterial selbstständig zu erledigen. Sie können die benötigte Zeit selbstständig oder mitgesteuert durch die Kursleitung flexibel einteilen.
  • Lernstrategien: Förderung individueller Lernstrategien und -stile.

Insbesondere zur Niveaudifferenzierung gibt es aus der Praxis für die Praxis eine Fülle methodischer Möglichkeiten (vgl. Aschemann et al. 2011).

Für die Bildungsarbeit mit Geringqualifizierten und bildungsungewohnten Lernenden haben sich insbesondere bewährt:

  • Latente Differenzierungen als Methoden, die in die gemeinsame Erarbeitung oder Sicherung eines Lernthemas in der Gesamtgruppe integriert sind.
  • Konsequente Einzelförderung als höchstmögliche Form der Individualisierung von Lernprozessen.
  • Differenzierungen im Niveau von Themenangeboten und Aufgabenstellungen und in der methodischen Vielfalt von Aufgabenangeboten.

Verantwortungsteilung und Förderung der Selbststeuerung

Gelebte Binnendifferenzierung bedeutet für die Kursleitenden, viele parallele Prozesse (einschließlich der unterschiedlichen Ausgangslagen der Lernenden) gleichzeitig zu überblicken und mitzusteuern. Es handelt sich um komplexe Lernarrangements zum Management von Heterogenität. Das Gelingen ist in hohem Maße davon abhängig, in vielen kleinen und großen Schritten von der „Bring mir was bei - ich bring Dir was bei“-Kultur zur Lernkultur der geteilten Verantwortung zwischen Kursleitung und Lernenden und zur Selbststeuerung im Lernen zu gelangen.

Verantwortungsteilung und Selbststeuerung mit bildungsfernen Lernenden

In Bezug auf die Verantwortungsteilung und Förderung der Selbststeuerung im Lernen als Handlungsansatz im Umgang mit Heterogenität macht der Blick in die Praxis der Bildungsarbeit mit Geringqualifizierten Mut: Praxiserfahrungen in der Weiterbildung mit Geringqualifizierten in der Altenhilfe zeigen, dass auch Geringqualifizierte willens und in der Lage sind, den Lern-/Lehrprozess mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen. Voraussetzung ist allerdings ein Ver- und Zutrauen in ihre Kompetenzen; in einer Misstrauenskultur werden sie sich nicht entfalten (vgl. Klein/Reutter/Zisenis 2011). Sowohl in den Arbeits- als auch in den Lernprozessen lässt sich beobachten, dass günstige Lern- und Gestaltungsmöglichkeiten zu Erfolg führen sowie das Selbstbewusstsein und die Bereitschaft, aktiv mitzugestalten erhöhen. Ungünstige Lern- und Gestaltungserfahrungen hingegen führen zu Rückzug und Passivität. Wem nichts zugetraut wird, der traut sich irgendwann auch nichts mehr zu.

Insbesondere für Vollzeitkurse und für Kurse mit etwas längerer Dauer gibt es eine Reihe von beraterischen, lernprozessbegleitenden Methoden, Verfahren und Instrumenten, die den Umgang mit Heterogenität im Lernen befördern. Es handelt sich um Angebote, die dem Ziel dienen, den Selbststeuerungs- und Selbstorganisationsgrad der Lernenden für ihren Lernprozess zu erhöhen.  

CC BY SA 3.0 by Rosemarie Klein für wb-web


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