Buchvorstellung
Binnendifferenzierung bei DaZ-Lehrenden
Der dröge Titel ist der
Tatsache geschuldet, dass es sich um eine Dissertation handelt und lädt nicht
zwingen zur Lektüre ein. Aber schon das umfangreiche Inhaltsverzeichnis macht
deutlich, dass hier mehr von Bildungspraxis als von -theorie die Rede ist. Die
Autorin stellt eine Vielzahl von Formen der Binnendifferenzierung vor, die
anschaulich beschrieben werden. Der Clou der Arbeit ist, dass sie in
qualitativen Interviews mit Kursleiterinnen und Kursleitern und durch
teilnehmende Beobachtung in Unterrichtshospitationen die Formen der
Binnendifferenzierung kritisch reflektieren und den Nutzen einzelner
Instrumente abwägen lässt. So wird der Band zu einem Grundlagenwerk zum Thema.
Silvia Demmigs Studienfächer waren Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, Germanistik und Romanistik und Komparatistik. Sie verfügt über eigene Praxiserfahrung als Kursleiterin in Sprachkursen. Seit 1999 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Seit 2005 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zu finden, ihre hier beschrieben Dissertation schloss sie 2003, ihre Habilitation 2012 ab.
Notwendig: Systematische Binnendifferenzierung
Die Arbeit ist für Lehrende nützlich, die in ihrer Praxis mit der Herausforderung konfrontiert sind, mit sehr heterogenen Lerngruppen umzugehen. Diese Heterogenität wird zwar am Beispiel von Deutschkursen abgehandelt, der Transfer auf berufliche Weiterbildungsangebote fällt aber leicht. Die einführenden Kapitel setzen sich mit dem theoretischen Hintergrund der Binnendifferenzierung auseinander, aber immer wieder durch praktische Beispiele veranschaulicht. Eine Grafik (S. 25) zu den Zielen der Binnendifferenzierung illustriert die Notwendigkeit einer systematischen Binnendifferenzierung, hier am Beispiel des Ziels der Zunahme der kommunikativen Fähigkeiten und Fertigkeiten durchdekliniert.
Die Autorin diskutiert grundsätzliche Fragen zur Binnendifferenzierung: Geht es um ein gemeinsames Lernziel oder um einen gemeinsamen Unterrichtsgegenstand? Soll der Lehrende als Initiator agieren oder sollen Lernende diese Rolle übernehmen? Sie klassifiziert die unterschiedlichen Möglichkeiten der Binnendifferenzierung: sozial, thematisch, medial, methodisch oder nach Niveau differenziert (S. 35).
Die für Praktiker weniger relevante Darstellung der Untersuchungsmethode ist erfreulich knapp gehalten und bietet einige anregende Überlegungen zum Verhältnis von Wissenschaftswissen und Handlungswissen und zur Rolle der Lehrenden als autonom reflektierende Professionelle.
Bevor die Autorin die Ergebnisse ihrer Interviews vorstellt und interpretiert, findet sich eine Vorstellung der einbezogenen Bildungsträger.
Die Auswertung des erhobenen Materials erfolgt nach den Kodierungsregeln der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (1996, S. 91ff) Die präsentierten Interviewpassagen liefern nicht nur ein beeindruckendes Bild der Anforderungen, die sich für Kursleitende in sehr heterogenen Gruppen ergeben. Sie zeigen auch, dass die jeweils gewählten Formen der Binnendifferenzierung von der Lerngruppe abhängig sind, aber mindestens genauso wichtig ist, dass sie zum jeweiligen pädagogischen Selbstverständnis „passen“ müssen. Ein Rezept, das als Königsweg gelten könnte, gibt es aus anschaulich dargestellten Gründen nicht.
Interessante Interviews
Das Buch ist für alle hilfreich, die in ihrer Praxis mit heterogenen Gruppen arbeiten. Es entlastet auch, weil die Interviewpassagen deutlich machen, dass immer wieder mit Rückschlägen zu rechnen ist und Binnendifferenzierung einen langen Atem braucht. Ich habe selten eine so praxisrelevante wissenschaftliche Arbeit gelesen.