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Lernstile und Lerntypen

Fördert eine Typisierung den individuellen Lernerfolg?

Sucht man im Internet Informationen zu Lernstilen und Lerntypen, so landet man häufig bei visuellen, auditiven, haptischen und intellektuellen Lernstilen. Was aber, wenn man feststellt, dass man seine Teilnehmenden dort gar nicht einordnen kann? Taugt dieser Ansatz überhaupt? Wir wollen alternative Modelle erklären.

DefinitionWas ist das?

Menschen eignen sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise und auch mit unterschiedlichem Interesse neue Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten an – sie haben also unterschiedliche Lernstile. Möchte man zum Beispiel eine neue Software kennenlernen, gibt es viele Wege: Die einen kaufen sich ein Buch, die anderen versuchen es über einen Selbstlernkurs, die dritten lernen besser bei einer Lehrerin und die vierten sind gelangweilt von Büchern und suchen sich einen erfahrenen Praktiker (Schrader, 2008). Es scheint, dass jeder eine persönliche Vorliebe hat, einen eigenen Stil vorzieht, wie er Neues lernen will. 

Bild mit Esel, Fisch im Glas, Katze, Schnecke, Vogel und Frau

Abbildung 1: Die Beschäftigung mit Lernstilen erfordert Umdenken. (Bild: Nach Hans Traxler/Copyright: aoc-training.de)

GeschichteWoher kommt das?

Der Pädagoge und Theologe Johann Amos Comenius (1592–1670) sprach in seiner „Didactica magna“ bereits von der „Mathetik“, der Lernkunst oder der Theorie des Lernens. Ein neuerer Forschungsbereich des Lernens, die sogenannte „Lernstilforschung“, birgt die Möglichkeit, die persönliche Seite des Lernens zu verstehen und zu typisieren. Dazu wurden in den letzten 40 Jahren unterschiedliche Theorien entwickelt. In jüngster Zeit etabliert sich die Hirnforschung.

MerkmaleWie geht das?

Erkenntnisse über Lernstile geben Anregungen zu erfolgreichem Lernen und Lehren. 

Die oben genannten Lernstile von Vester (1984) – auditiv, visuell, haptisch, intellektuell – werden bis heute in vielen Bildungskontexten verwendet.

Zu den Lerntypen von Erwachsenen in der beruflichen Weiterbildung hat u. a. Schrader geforscht und fünf „Typen von Lernenden“ ermittelt:

  • der „Theoretiker“ lernt gern und ist sowohl an praktischer Anwendung wie an theoretischen Grundlagen interessiert,
  • der „Anwendungsorientierte“ probiert gerne aus und fragt, was er mit den Inhalten anfangen kann,
  • der „Musterschüler“ lernt lieber angeleitet als eigenständig, ist ehrgeizig und fleißig,
  • der „Gleichgültige“ lernt nicht gerne und auch nicht mehr, als er braucht,
  • der „Unsichere“ ist von Angst begleitet, wenn es um Lernen geht, braucht Druck und Einsicht, warum er etwas lernen soll.

Diese fünf Typen werden von Schrader weiter ausdifferenziert. Er beschreibt hier auch, welche Typen auf welche Weise lernen. Bei jedem Typ, so meint er, wird es Aspekte im Lernen geben, die vorteilhaft und weniger vorteilhaft sind. Seine Empfehlung ist daher, dass die Lernenden ihr Lernen zum Reflexionsgegenstand machen und versuchen, es zu verstehen. Daraus können Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie Lernstile verändert werden können (Schrader, 2008).

Ähnlich sieht das der Psychologe David A. Kolb, der vier Lernstile entwickelt hat. Diese Lernstile klassifizierte er wie folgt:

  • „Divergierer“ bzw. Entdecker: lernen gut durch konkrete Erfahrungen und reflektierte Beobachtungen,
  • „Assimilierer“ bzw. Denker: bevorzugen reflektiertes Beobachten und abstrakte Begriffsbildung sowie theoretische Modelle,
  • „Konvergierer“ bzw. Entscheider: lernen gut durch abstrakte Begriffsbildung und aktives Experimentieren,
  • „Akkomodierer“ bzw. Praktiker: mögen aktives Experimentieren und konkrete Erfahrungen (Haller & Nowack, 2013).

Diese vier Lernstile sieht Kolb aber nicht nur als individuelle Präferenzen an; er bildet in dem von ihm entwickelten „Lernkreis“ (Abb. 2) einen idealtypischen Prozess des Lernens ab, der die folgenden vier Phasen beinhalten sollte:

  • Am Anfang steht die konkrete Erfahrung, in der man sich offen und umfassend mit Neuem auseinandersetzt.
  • Im zweiten Schritt, dem reflektiven Beobachten, beobachtet man etwas und denkt darüber nach.
  • Im dritten Schritt, der abstrakten Begriffsbildung, werden daraus Konzepte und Generalisierungen vorgenommen.
  • Im vierten Schritt experimentiert man auf Basis dieser Konzepte, man probiert aus.

Kreisdiagramm zum Lernkreis nach Kolb

Abbildung 2: Der Lernkreis nach Kolb

Dieser „Lernkreis“ beginnt dann wieder von vorne – und so können Lernergebnisse vertieft oder verbessert werden.

Bezogen auf die Lernstile sollte jeder Teilnehmende seinen jeweiligen Lernstil kennen, im Lernprozess aber auch die anderen Phasen des Lernkreises durchlaufen (Haller & Nowack, 2013).

Dieses englische Video erklärt Kolbs Theorie kurz und knapp:

HandlungsfelderWo brauche ich das?

Natürlich ist die Ausrichtung der Methoden oder Lerninhalte auf unterschiedliche Lernstile oder Lerntypen hin kein Allheilmittel. Trotzdem lohnt es sich, den Teilnehmenden die Möglichkeit zu geben, sich Wissen auf unterschiedliche Art anzueignen. 

Zu Kolbs Lernstilen gibt es einen Test, der  offline durchgeführt werden kann. Die Ergebnisse können in ein „Lernstilinventar“ übertragen werden. So können die Teilnehmenden ihren Lernstil ermitteln.

Führt man einen solchen Test durch, regt man selbstreflexive Lernprozesse an. Im Gespräch können die Ergebnisse besprochen werden und daraus weitere Schritte zur Veränderung geplant werden.

Möchte man seinen Kurs auf das Modell von Kolb stützen, kann man seine Kursplanung daraufhin überprüfen, ob man die unterschiedlichen Lernstile berücksichtigt hat:

 Divergierer/Entdecker

  • Ist es möglich, das Problem, das Wissen, das neu erworben werden soll, aus möglichst vielen Perspektiven zu betrachten?
  • Wird die Vorstellungskraft angeregt und ist ein Austausch mit anderen möglich?
  • Können eigene Erfahrungen gemacht werden?
  • Gibt es Visualierungen?

 Assimilierer/Denker

  • Gibt es übergeordnete Konzepte und Theorien zu den Lerninhalten?
  • Ist es möglich, Fakten zu sammeln und zu einem Konzept zusammenzufassen?
  • Gibt es Phasen der Einzelarbeit?
  • Ist die Lernsituation strukturiert?

 Konvergierer, Entscheider

  • Gibt es Theorien, die man in die Praxis umsetzen kann?
  • Können Experimente eingebunden werden?
  • Ist ein Praxistransfer möglich?

 Akkomodierer, Praktiker

  • Kann man etwas ausprobieren, sich Inhalte intuitiv erschließen und so seine Erfahrungen machen?
  • Ist es möglich, mit anderen zusammenzuarbeiten? 

DiskussionWas wird diskutiert?

Sehr populär sind noch immer die vier Lerntypen nach Vester. Sie werden allerdings kritisch diskutiert und von vielen Autoren widerlegt. Die Hirnforschung weiß z. B. inzwischen, dass es im logischen Denken und anderen kognitiven Funktionen individuelle Unterschiede gibt. Auf der Grundlage von unterschiedlichen Studien konnte dies belegt werden. Weiterhin fand man heraus, dass Sinneseindrücke dagegen ähnlich verarbeitet werden; hier waren unter den Versuchspersonen keine großen Unterschiede messbar. Das bedeutet, dass „höhere geistige“ Prozesse Menschen neuronal stärker unterscheiden als Sehen oder Hören.  Die oben genannten vier Lerntypen nach Vester scheinen somit zu den „Mythen“ der Lernpsychologie zu gehören.


Service

Zur Reflexion

Wenn Sie an Ihre eigenen Veranstaltungen denken, welche Lernstile bedienen Ihre bevorzugten Methoden?

Literaturliste

  • Haller, H. D., & Seipold, M. (2013). Lernstilinventar nach Kolb. Abgerufen von http://lernstil.info/index.php?id=31
    Die Website bietet wissenschaftlich fundierte Informationen zu den Lernstil-Theorien von Kolb und Pask. Der Lerntest zum Lernstil kann sowohl online durchgeführt als auch in Papierform heruntergeladen werden. (Anmerkung: Die ursprüngliche Webseite "Lernstil.Info" wurde aus technischen Gründen deaktiviert. Sie wurde überarbeitet und mit anderen Webseiten des "Instituts für Allgemeine und Interkulturelle Didaktik e.V" (AIKUD) zusammengeführt. Eine erste Fassung der gesamten neuen Plattform können Sie hier finden: 
    http://lernkabinett.aikud.org
  • Schrader, J. (2008). Lerntypen bei Erwachsenen. Empirische Analysen zum Lernen und Lehren in der beruflichen Weiterbildung (2. Aufl.). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
    Schrader gibt einen hier einen Überblick über die Forschung zu Lernstilen sowohl im Bereich der Pädagogik als auch der Psychologie. Dazu findet man hier Informationen zu den von ihm entwickelten Lerntypen und dem zugrunde liegenden Forschungsprojekt.
  • Stangl, W. (2013). Lernstile. Was ist dran? Abgerufen von www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/PUBLIKATIONEN/Lernstile.shtml
    Stangl setzt sich sehr detailliert mit unterschiedlichen Lernstil-Theorien auseinander. Hier findet man unter anderem auch eine Kritik an den Lernstilen nach Vester: www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/LERNEN/Lerntypen.shtml
  • Willingham, D. (2015). Learning Styles FAQ. Abgerufen von www.danielwillingham.com/learning-styles-faq.html
    Auf der englischsprachigen Internetseite des Psychologieprofessors Daniel Willingham kann man FAQs zu den „Mythen“ über Lernstile nachlesen. In seinem Blog „Science and Education“ möchte er Forschungsergebnisse aufzeigen, die für die Pädagogik interessant sind.

Quellen

Haller, H. D., & Seipold, M. (2013). Lernstilinventar nach Kolb. Abgerufen von http://lernstil.info/index.php?id=31

Kolb, D. (1984). Experiential Learning: Experience as the Source of Learning and Development. New Jersey: Prentice Hall.

Klotzbücher, L. (2013). Hirnforschung. Wurzeln der Individualität. spektrum.de. Abgerufen von www.spektrum.de/news/wurzeln-der-individualitaet/1183506

Schrader, J. (2008). Lerntypen bei Erwachsenen. Empirische Analysen zum Lernen und Lehren in der beruflichen Weiterbildung (2. Aufl.). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Stangl, W. (2013). Lernstile. Was ist dran? Abgerufen von www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/PUBLIKATIONEN/Lernstile.shtml

Vester, F. (1975). Denken, Lernen, Vergessen. München: dtv.

Willingham, D. (2015). Learning Styles FAQ. Abgerufen von www.danielwillingham.com/learning-styles-faq.html


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