Buchvorstellung
Von der Wissens- zur Kompetenzgesellschaft
John Erpenbeck und Werner Sauter fassen in ihrem Buch „Stoppt die Kompetenzkatastrophe!“ die Bedeutung des Kompetenzbegriffs zusammen und werfen einen kritischen Blick auf das Bildungsmanagement von Kompetenzen in einzelnen pädagogischen Tätigkeitsfeldern sowie in der deutschsprachigen Bildungspolitik. Kompetenzorientierte Pädagogik gilt auch in der Weiterbildung als vieldiskutiertes Konzept. John Erpenbeck ist Physiker und Weiterbildner. Werner Sauter ist Pädagoge mit dem Schwerpunkt berufliches Lernen an verschiedenen Hochschulen. Beide Autoren sind Vorreiter in der Kompetenzforschung und arbeiten an Entwicklungs- und Diagnostikverfahren zur Thematik.
Kompetenz
Der Begriff „Kompetenz“ wird seit den 1990ern europaweit in Bildungssystemen diskutiert mit dem Anspruch, kompetenzbasiertes Lernen in pädagogischen Arbeitsfeldern zu etablieren. Auch für den Bereich des Erwachsenenlernens gibt es die Tendenz, Kompetenzen festzustellen bzw. darauf basierende Didaktiken und Methoden lernzielorientiert einzusetzen (siehe dazu etwa die Studien der CEDEFOP). Nach Erpenbeck und Sauter versteht man unter Kompetenzen „die menschlichen Fähigkeiten, in offenen Situationen selbstorganisiert und kreativ zu handeln. Der Kompetenzbegriff ist damit der moderne Bildungsbegriff“ (Erpenbeck/Sauter, 2016, S. 4). Unterteilen lassen sich Kompetenzen in fünf Dimensionen:
- personale Kompetenzen,
- Aktivitäts- und Handlungskompetenzen,
- Fach- und Methodenkompetenzen,
- sozial-kommunikative Kompetenzen,
- Schlüsselkompetenzen (S. 22 f.).
Ein Schwerpunkt bei der Kompetenzorientierung zielt darauf, sich Lerninhalte selbstorganisiert anzueignen mit dem Ziel, sie in der eigenen Lebenswelt auch anwenden zu können. Kompetent zu sein beinhaltet demnach nicht nur, sich Wissen zu erwerben, sondern knüpft immer auch an spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten an, dieses Wissen zur fachlich-inhaltlichen oder sozialen Problemlösung einzusetzen. Wissen soll Dispositionen des Handelns bei den Lernenden freisetzen und Kompetenzentwicklung kann letztlich nur durch diese selbst nachhaltig gelingen. Es nützt aus Sicht des Lehrpersonals wenig, in Veranstaltungen ein profiliertes Allgemeinwissen vorzutragen und dessen Wichtigkeit zu betonen, ohne dabei die Voraussetzungen und die Möglichkeiten seiner Anwendbarkeit didaktisch mitzunehmen. Diese „pädagogische Grundillusion, dass aufgenommenes Informationswissen zu kompetentem Handeln führe“ (Erpenbeck/Sauter 2016, S. 47), gelte es mit dem Kompetenzbegriff zu überwinden.
Die Autoren verweisen auf zahlreiche Weiterbildungsmaßnahmen in der Beratungsbranche, in denen kompetenzbasiertes Lernen Einsatz findet. So bedienen sich Projekte zur beruflichen Bildung von Bosch oder Siemens nachhaltig Kompetenzmodellen. In der Weiterbildungsforschung verfolgen das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE) oder das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) Kompetenzentwicklungsziele.
Kritik am deutschen Bildungssystem
Doch Erpenbeck/Sauter sparen auch nicht mit Kritik am deutschen Bildungssystem. Dieses unterrichte an dem notwendigen Ziel einer kompetenzbasierten Gesellschaft vorbei und dies trotz erprobter Modelle und Methoden, die es zu dieser Lernform mittlerweile bereits gibt. Die Vermittlung von Wissen durch das Bildungssystem und seine Anwendbarkeit in professionellen Tätigkeitsfeldern, die immer mehr ein dynamisches und lebenslanges Lernen erforderlich machen, müssten künftig effizienter ineinandergreifen. Die Autoren bemängeln des Weiteren auch eine nachlässige Kompetenzentwicklung im Bereich der digitalen Medien – ein zentrales Thema der Weiterbildung. Dort stehe ein vielseitiger Einsatz in der Praxis einem langsam reagierenden Bildungsmanagement gegenüber. Auch eine jüngst veröffentlichte Studie des Digitalverbandes bitkom kann dieses in der Publikation festgestellte Versäumnis bestätigen. Unternehmen haben mitunter oft gar keine explizite Strategie, wie sie ihren Mitarbeitenden digitale Kompetenz vermitteln sollen. Weitere Informationen für Weiterbildnerinnen und Weiterbildner zur digitalen Kompetenz liefert u.a. das Handbuch von Wilfried Sühl-Strohmenger aus dem Jahr 2016.
Erpenbeck und Sauter fordern, die Rahmenbedingungen einer notwendigen Weiterentwicklung von einer Wissensgesellschaft zu einer Kompetenzgesellschaft in der pädagogischen Praxis auch umzusetzen.
Fazit
Der Kompetenzdiskurs kann in seiner Grundidee bei der didaktischen und methodischen Planung für Weiterbildnerinnen und Weiterbildner gewinnbringend sein. Da man sich von kompetenzbasierten Unterrichtsformen das Erreichen von messbaren Lernzielen sowie ihre Anwendbarkeit in der Praxis erwartet, werden sie auch künftig für die Praxis attraktiv bleiben. Diese Erwartungen, die immer auch Optimierungsziele setzen, können aber auch enttäuschen und dürfen beim Verfehlen eines Lernzieles nicht einfach den Lernenden und ihrem Unvermögen Schuld zuweisen. Bei Erpenbeck/Sauter heißt es, der limitierende Faktor in zukünftigen Lernsystemen sei nicht mehr die Technologie, sondern der Mensch, weil er erst lernen müsse, mit seinem neuen, technologischen Lernpartner souverän umzugehen (S. 11). Die komplexen Aneignungsprozesse von Lernenden in der Wissensgesellschaft sind dementgegen aber letztlich nicht, oder zumindest nicht nur technologisch begründbar, da sie stets auch spontane und kreative Entwicklungen enthalten, die neue Medien nicht steuern können.