Erfahrungsbericht

Empowerment durch Metakognition

Kursleitende wägen in der Bildungsarbeit mit Geringqualifizierten sehr genau ab, warum, wann und wie der Einsatz von Verfahren zum Erfassen von Vorkenntnissen, Lernvoraussetzungen, individuellen Stärken unter didaktischen Zielen erfolgt, oder inwiefern eher Verfahren des Empowerments zum Aufschließen und Ermutigen für Lernen angesagt ist. Rosemarie Klein sprach für wb-web über entsprechende Konzepte mit Dr. Karl Gudauner.

Mehrere Hanteln

wb-web: Erfassen von Vorkenntnissen oder Empowerment - was macht mehr Sinn in der Arbeit mit Geringqualifizierten?

Dr. Karl Gudauner: So einfach lässt sich das nicht sagen, denn eigentlich gehört beides zusammen: Die Überprüfung des lehrstoffspezifischen Vorwissens der Teilnehmenden zielt vor allem darauf ab, zu erkennen, mit welcher Strukturierung des Lernstoffs und welchen Methoden die Anschlussfähigkeit der Einzelnen gewährleistet werden kann. Durch einen situativen Einstieg – z.B. ein Brainstorming oder eine Meinungsfrage zu einem Thema - können die Vorkenntnisse und Haltungen selbst bei sehr heterogenen Gruppen schnell abgeklärt werden, auch wenn die Lehrkraft im Vorfeld nicht über das Lernniveau der Teilnehmenden in Kenntnis gesetzt wurde. Informationen zum Bildungsverlauf, zur Arbeitsbiografie und zum privaten Umfeld erweisen sich für die Rückkoppelung der Lernfelder mit signifikanten individuellen Lebenserfahrungen nützlich, da durch die lebensweltliche Kontextualisierung die Lernmotivation gesteigert werden kann. Für Lernen und Kompetenzentwicklung ist Empowerment entscheidend, etwa durch Metakognition (s. Kasten). 

wb-web: Steckt darin die Frage, welche Ziele mit dem Transparent- und Bewusstmachen von Vorkenntnissen, Erfassen von Lernvoraussetzungen und dem Bilanzieren von im Lebensverlauf erworbenen Kompetenzen verfolgt werden?

Dr. Karl Gudauner: Durchaus! Empowerment ist dabei der Kern des Ansatzes, den wir hier in Südtirol praktizieren. Lehrkräfte sind von ihrer Ausbildung her eher auf die organisatorisch-didaktischen Nutzungseffekte fokussiert, wenn sie sich Gedanken um das Erfassen von Vorwissen und Stärken ihrer Teilnehmenden machen: Man braucht die Erfassung eben, um den Teilnehmenden dem richtigen Kurs zuordnen zu können. Unsere Lehrkräfte verstehen sich als Beratende oder Tutoren in den Lehrgängen. Ihre Perspektive ist darauf ausgerichtet, die Person zu stärken: Wir fragen also, was die Person für die weitere Entwicklung braucht, weniger, wo wir sie am besten noch unterbringen können. Wenn Sie sich mit der Bilanz der Kompetenzen befassen, in welcher Form auch immer diese erfolgt, und damit mit dem individuellen „Rucksack“ an Lebenserfahrung, den die Teilnehmenden mitbringen, dann geht es darum, die Teilnehmenden aufzuschließen und zu bestärken. Das Ziel dabei muss es sein, die Teilnehmenden erfolgreich für eine selbstgesteuerte und selbstverantwortete Zukunft aufzustellen.

wb-web: Empowerment durch Metakognition ist ein Verfahren, das Sie vorher erwähnt haben. Was steckt dahinter?

Dr. Karl Gudauner: Dazu habe ich ein sehr interessantes Gespräch mit  Ludmilla Kripp geführt. Sie ist gelernte Informatikerin und hat nach einigen Jahren als Programmiererin in die Erwachsenenbildung gewechselt. Mittlerweile ist sie seit ca. 25 Jahren freiberuflich als Trainerin in Südtirol tätig. Sie berichtete im Gespräch über ihre Erfahrungen zum Thema Lernvoraussetzungen und Lernerfolg in EDV-Kursen mit unterschiedlichen Zielgruppen.

Ludmilla Kripp ist an der Durchführung des Projekts MekoBASIS (Basiscurriculum und Qualifizierungskonzept) beteiligt und hat dort Verfahren und Methoden der Metakognition kennen und einsetzen gelernt. Unterstützt durch eine individualisierte Arbeitsweise und Aufgabenblätter werden die Bildungsteilnehmenden eingeladen und angeleitet, über ihre Situation zu reflektieren, ihre Lernziele zu definieren und notwendige Schritte zur Bewältigung von Lernaufgaben zu erkennen.

wb-web: Methoden der Metakognition - Was bewirken diese genau?

Dr. Karl Gudauner: Die Teilnehmenden entdecken durch diese Methoden, dass sie über metakognitive Kompetenzen verfügen und erleben, wie sinnvoll es sein kann, diese Kompetenzen für eine gute Planung des Lernprozesses zu nutzen. Auch werden auf diese Weise metakognitive Kompetenzen weiterentwickelt. Empowerment, im Sinne von mehr Selbstvertrauen und Selbstsicherheit, ist die Folge.

wb-web: Wie wird das metakognitive Arbeiten in der Praxis eingesetzt und wie sind die Erfahrungen mit den verschiedenen Zielgruppen?

Dr. Karl Gudauner: In der Praxis bietet Ludmilla Kripp Metakognition kursintegriert an. Ihre Erfahrungen: Geringqualifizierte tun sich manchmal schwer mit Metakognition, weil sie oftmals in den Herausforderungen ihrer aktuellen Lebenssituation gefangen bleiben, (noch) ohne Orientierung sind und sich schwertun, einen nach vorne gerichteten Blick auf sich und die anstehenden Lernaufgaben zu richten.

In den ca. 30 Stunden umfassenden EDV-Angeboten für Seniorinnen und Senioren hat sie sehr gute Erfahrungen gemacht. Im „EDV-Schnupperkurs 60+“ und in ähnlichen Kursangeboten zeigte sich, dass gerade von denjenigen Teilnehmenden, die über einen eher niedrigen Bildungsstand verfügten, metakognitive Reflexionen und Methoden dankbar aufgenommen wurden und ein spürbarer Lernprofit erzielt werden konnte. Insgesamt zeigte sich die Seniorengruppe sehr erfreut darüber, dass sie mit metakognitiver Unterstützung ihr Potenzial zum reflektierten Umgang mit EDV und Internet entdecken und nutzen konnte.

Ein weiterer Kurs mit Senioren und Seniorinnen hatte zum Ziel, durch Elemente der Metakognition die Bewältigung des Alltags zu verbessern. Der Begriff Metakognition wurde dabei bereits im Kurstitel „Projekt KLASSIK - Gib Deinen grauen Zellen eine neue Chance! Probleme des Alltags leichter lösen“ angeführt. Auch dieser Kurs umfasste ca. 30 Stunden. Da er ein Vorgängerprojekt zu MekoBASIS war, konnte er sehr kostengünstig angeboten werden. Obgleich die Teilnehmenden sehr viele Tests absolvieren mussten, hatten sie sehr viel Spaß dabei, ihren metakognitiven Kompetenzen zur Lösung von Alltagskompetenzen zu entdecken und zu nutzen.

wb-web: Wo stößt das metakognitive Arbeiten an Grenzen? Wie gehen die Kursleitenden dann vor?

Dr. Karl Gudauner: In berufsbildenden und berufsorientierenden Kursen für junge Erwachsene mit zum Teil kritischen Schulbiographien waren die Erfahrungen mit metakognitiven Angeboten eher zwiespältiger Art. Während die einen sich wenig aufgeschlossen in Bezug auf zusätzliche nicht curriculare metakognitive Lernangebote zeigten, bemühten andere sich gewissenhaft, auch diese Aufgaben zu erfüllen. Dort, wo die Arbeitsaufträge damit verbunden werden konnten, dass die jungen Erwachsenen über sich und ihre Situation erzählen konnten und entsprechendes Interesse an ihrer Person erfuhren, war die Motivation der Teilnehmenden ausgeprägter.

In EDV-Kursen, bei denen Ludmilla Kripp vor Kursbeginn keine Informationen über das spezifische Vorwissen der Teilnehmenden erhält, geht sie dialogisch vor und fragt dabei das Vorwissen im Gespräch mit den Lernenden ab. Insbesondere in den Anfängerkursen weisen die Teilnehmenden sehr unterschiedliche Niveaus zu den IKT-Anwendungen auf. Das heißt, dass einige mit gutem Eingangsniveau dabei sind und einige noch ohne Basisausbildung.

In diesen Kursen und aus den benannten Gründen erläutert Ludmilla Kripp eingangs das Kursprogramm, lädt die Teilnehmenden ein, ihre Erwartungen und Ziele zu benennen, fragt nach Anwendungserfahrungen mit dem PC zuhause und nach der privaten bzw. beruflichen Verfügbarkeit eines PCs. Aus ihrer Sicht kann sie schon dadurch ein gutes Bild zu den Vorkenntnissen gewinnen. Durch Erprobung von Anwendungsaufgaben, die auf das jeweilige Lernniveau angepasst sind, vermag sie gut abzuschätzen, wie das Lernprogramm an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden kann.

wb-web: Danke für das spannende Gespräch!

CC BY-SA 3.0 by Karl Gudauner und Rosemarie Klein für wb-web


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