Etliche der durch Betriebskrisen oder Umstrukturierungen von Arbeitslosigkeit betroffenen Frauen und Männer aus dem Passeiertal oder dem Ultental weisen nur den Abschluss der Mittelschule auf (das entspricht der Sekundarstufe I in Deutschland). Sie werden in Kursen der Südtiroler Landesverwaltung vor allem in der Zweitsprache Italienisch und im EDV-Bereich nachqualifiziert. Ziel ist es, ihnen den Zugang zu Arbeitsmöglichkeiten im Tourismus zu ermöglichen. In dem Beispiel, um das es hier geht, waren für die Vermittlung von EDV-Grundkenntnissen zehn Treffen mit insgesamt 40 Stunden vorgesehen.
Für Frauen mit Pflichtschulabschluss ist kennzeichnend, dass sie nach Heirat und Kindererziehung meist nur in Hilfstätigkeiten eingesetzt waren. Bei den Männern bildete oft die Bewirtschaftung des eigenen Hofs, mit der eine geringfügige Sozialversicherung verbunden war, den Hintergrund für eine niedrig qualifizierte und repetitive Tätigkeit in kleinen Industriebetrieben.
Fehlende Lernerfahrungen und Angst vor Neuem
Eine besonders wichtige Lernbarriere bei älteren Arbeitskräften liegt darin, dass sie das Lernen nicht gelernt haben und ihre Schulerfahrungen bis zu 40 Jahre zurückliegen. Vielfach können sie bei ihren Nachqualifizierungen nicht auf positive Lernerfahrungen aufbauen. Daraus resultiert eine Scheu davor, etwas Neues zu beginnen. Etliche sind es aufgrund der langjährigen Arbeitserfahrung in der Industrie gewohnt, Tätigkeiten mit einer gewissen Abfolge zu automatisieren und dann routinemäßig abzuwickeln. Somit fehlt eine flexible Einstellung in Bezug auf wechselnde Anforderungen in der Arbeitswelt. Neues zu lernen ist ihnen fremd. Auch ihr Zugang zu den EDV-Anwendungen ist von dieser Einstellung geprägt.
Praxisorientierung: Nutzen erfahrbar machen
Ein praxisorientierter Zugang erweist sich als sehr guter Weg, um Lernbarrieren zu vermeiden. Die EDV-Kenntnisse der Kursteilnehmenden wurden zu Beginn der Qualifizierungskurse nicht abgefragt oder getestet, um zu vermeiden, fehlende bzw. geringe Vorkenntnisse plakativ zur Schau zu stellen. Stattdessen wurden im ersten Überblick über den Kurs die Inhalte der EDV-Module vorgestellt und erläutert, wofür diese nützlich sind und wofür man sie typischerweise benötigt und einsetzt. Das weckte die Neugierde der Teilnehmenden.
Das Lernen wurde zudem sehr praxisbezogen gestaltet. Es war ein „Lernen durch Tun“. Erst mit der konkreten Anwendung der einzelnen Lernbausteine wurde für die Dozentin bemerkbar, welche Kenntnisse die einzelnen Teilnehmenden aufwiesen. Ab dann wurde es möglich, um Lernbarrieren vorzubeugen, auch sehr individuell auf die Kenntnisstände der Einzelnen einzugehen. Z.B. wurden Übungen und Aufgaben gezielt an die Voraussetzungen der jeweiligen Lernenden angepasst.
Nützliches und praxisorientiertes Lernen motiviert
Da in den EDV-Stunden sehr viel praktisch gearbeitet wurde, hatten die Teilnehmenden kaum Schwierigkeiten, mit vier Stunden Unterricht am Stück klar zu kommen. Bei der eigenständigen Lösung von Aufgaben am PC waren insbesondere die erwachsenen Teilnehmenden oftmals derart vertieft in ihre Tätigkeit, dass sie nur mit Müh und Not zu den angesetzten Pausen bewegt werden konnten. So war immer wieder zu erkennen, dass eine subjektiv erlebte, praktische Nützlichkeit der erlernten Inhalte ganz zentral dazu beiträgt Lernbarrieren zu vermeiden und zu überwinden.
Dr. Tatjana Finger ist als Privatdozentin seit vielen Jahren im EDV-Bereich für verschiedene Institutionen in Südtirol aktiv, dazu gehören unter anderem der Katholische Verband der Werktätigen (KVW) und der Südtiroler Bauernbund (SBB). Ferner arbeitet sie als Fachbereichsleiterin für die Urania Meran.
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