Erfahrungsbericht

Podcasts als Anlass zum Sprechen

Beim Erlernen einer Fremdsprache in einer Bildungseinrichtung ist oft die höchste Hürde, die neue Sprache auch zu sprechen. Die Idee der vhs Wiesbaden: Sprachschüler gestalten Hörspiele selbst. In diesem Zusammenhang machen sie sich Gedanken über Satzbau, Vokabular und Redewendungen; und die konstruierten Sätze sprechen sie dann auch tatsächlich aus. Wir haben Anne Juliane Appel, Programmbereichsleitung Fremdsprachen an der vhs Wiesbaden, dazu befragt.

wb-web: Sie haben in einige Sprachkurse der vhs Wiesbaden Audio-Produktionen eingebunden, und zwar so, dass die Teilnehmenden selbst kleine Hörbeiträge gestaltet haben. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Juliane Appel: Wir haben die Audios im Rahmen des Projekts Klingende Landkarte gemacht, ein Projekt des Bayerischen Volkshochschulverbands. Dabei geht es darum, Audioguides selbst zu gestalten. Wir haben diese Idee aufgegriffen und unsere Fremdsprachen-Dozenten mit ihren Sprachkursteilnehmern eingeladen in ihrer jeweiligen Muttersprache kleine Beiträge über Ihre Lieblingsorte in Wiesbaden zu machen. Seither entsteht an unserer vhs ein mehrsprachiger Audioguide für Wiesbaden.

wb-web: Ich stelle mir vor, dass das erst ab einem gewissen Niveau möglich ist – mit welchen Kursen haben Sie Hörstücke gemacht? Welche Vorkenntnisse hatten die Teilnehmenden?

Juliane Appel: Wir haben im September 2015 den ersten Workshop mit dem Titel „Ankommen in Wiesbaden“ veranstaltet, der für alle Interessenten offen war. Einige Teilnehmende sind über die Tandem-International-Treffs (ein freies Deutschlernangebot in Wiesbaden) auf das Projekt aufmerksam geworden. Andere über die Zeitung oder unsere Homepage. An unserem ersten Workshop nahmen Muttersprachler - Niveau C1-C2, also ziemlich fortgeschritten, denn das ist das höchste Niveau - der Sprachen Arabisch, Kurdisch, Kroatisch, Französisch, Norwegisch, Spanisch, Polnisch, Farsi und Türkisch teil. Das war großartig!

wb-web: Der Workshop dauerte sechs Stunden – das ist nicht viel Zeit für so ein komplexes Thema. Wie hat es dennoch mit der Umsetzung so gut geklappt?

Juliane Appel: Das war teilweise etwas schwierig, da einige zum ersten Mal mit Dingen wie Storytelling, Text-/Aufnahme-Dramaturgie und der jeweiligen Technik konfrontiert waren. Denn die zentrale Frage für die Teilnehmenden war: Wie kann ich so über meinen Lieblingsort berichten, dass andere das gerne anhören? Für einen gelungenen Beitrag reicht ein hohes Sprachniveau nicht aus, das musste auch ich als Veranstalterin erst lernen. Daher haben wir in weiteren Aufnahmesessions Wert darauf gelegt, vorab in die wichtigen Gestaltungspunkte einzuführen: Inhaltliche Schwerpunktsetzung, sprachliche Ausgestaltung, Betonung und so weiter.

Motivation als Ziel

Um aber auf die Frage zurückzukommen, es ist auf jeden Fall möglich, Aufnahmen auf dem Niveau A2/B1/B2 - also fortgeschrittene Grund- und Mittelstufe - zu machen, allerdings ist das nicht unser erstes Ziel. Ziel ist es, die Teilnehmenden zu motivieren, Texte in ihren Muttersprachen bzw. in einer Fremdsprache aufzunehmen. Sie sollen so eine Plattform erhalten, die sie gestalten können. Und gleichzeitig bekommen Neuankömmlinge eine Möglichkeit, in unserer Stadt tatsächlich anzukommen, eben weil sie einen neuen Ort in ihrer eigenen Sprache erleben können.

wb-web: Um noch einmal auf die Technik zurückzukommen – nicht jeder traut sich zu, Aufnahmegerät und Schnittprogramm zu bedienen. Haben Sie darauf vertraut, dass sich Leute finden, die so etwas können oder haben Sie auf Partner gesetzt?

Juliane Appel: Die Kenntnis über Aufnahmetechniken konnten wir nicht voraussetzen, so dass wir uns mit dem Medienzentrum Wiesbaden einen Kooperationspartner mit ins Boot geholt haben. Mit ihnen haben wir einführende Elemente in unseren Workshop eingebaut. Tatsächlich hat sich aber schon das In-das-Mikro-Sprechen als gar nicht so einfach dargestellt. Viele machen das zum ersten Mal. Es ist unbedingt notwendig vor der tatsächlichen Aufnahme den Leuten Instrumente und Techniken an die Hand zu geben, die vorher eingeübt werden können, um eine qualitativ gute Aufnahme zu generieren.

wb-web: Was haben Sie konkret gemacht?

Juliane Appel: Wir haben uns an der Handlungsanleitung des Bayrischen Rundfunks und des Bayerischen Volkshochschulverbands zu den Hörpfaden orientiert. Nach einer spontanen Erzählrunde, in der jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer vom eigenen Lieblingsort berichtet hat, war die erste Hürde genommen. Im Anschluss haben wir eine zweistündige Schreibwerkstatt abgehalten. Dabei sind wir schrittweise vorgegangen und haben folgende Bausteine bearbeitet:

  • Stichpunkte zu meinem Lieblingsort sammeln
  • Welchen Stil wähle ich für meinen Beitrag? Bericht? Anekdote? Dialog?
  • Schriftliche Ausarbeitung
  • Feinschliff nach Spiegelung mit den anderen Teilnehmenden
  •  Erzähltechniken: Stimmtechniken, Stimme heben/senken, Emotionen über die Stimme vermitteln, Akzentuierung
  • Mikrofontechniken: entspannte Körperhaltung, richtige Distanz zum Mikro
  • Kritisches Hören der ersten Version, eventuell Passagen neu aufnehmen
  • Kreative Gestaltung: Soundeffekte, Hintergrundmusik

wb-web: Und wie haben Sie es mit dem Schnitt gehandhabt?

Juliane Appel: Den Schnitt haben wir erstmal aus den Workshops ausgelagert. Hier saßen Florian Gröner, ein Kollege aus dem Medienzentrum, und ich dann dran, nachdem wir mit den Teilnehmenden besprochen haben, welche Soundeffekte und musikalische Untermalungen sie sich am besten für ihren Beitrag vorstellen können.

Im zweiten Workshop im November haben wir ein neues Modell ausprobiert. Die Teilnehmenden haben direkt mitgewirkt beim Schnitt und bei der Gestaltung, also Learning by doing. Damit haben wir sehr positive Erfahrungen gemacht. Vielleicht ist das das zukünftig gangbare Modell.

Schulungen für die Kursleitenden

wb-web: Wie sieht es mit den Kursleitenden aus – haben die eine spezielle Fortbildung bekommen?

Juliane Appel: Mein Ziel ist es, das Projekt ganz in die Hände unserer Kursleitungen zu geben, die mit ihren Deutsch-/Fremdsprachenkursen weitere Aufnahmen produzieren können. Bevor wir in diese nächste Phase gehen, werden wir auf jeden Fall eine Kursleiterfortbildung für den Audioguide anbieten. Die Erfahrung zeigt, dass es ohne nicht geht. So übernehmen z.B. in Bayern Radiojournalisten des Bayerischen Rundfunks die Kursleiterfortbildung für das Projekt Klingende Landkarte

wb-web: Worin liegt Ihrer Meinung nach der Vorteil der Audiostücke im Fremdsprachenunterricht?

Juliane Appel: Ich unterscheide hier zwischen zwei Zielgruppen: Zum einen Menschen, die (noch) nicht Deutsch können. Die wollen wir in ihrer Muttersprache ansprechen, so dass sie sich einfach freuen, auf etwas Urvertrautes zu stoßen – die eigene Sprache. Sie können auf einfachem Weg interessante Informationen über ihr neues Zuhause einholen. Zum anderen steckt für deutsche Fremdsprachenlerner in den Beiträgen ein hohes Potenzial, die eigene Lernmotivation zu steigern. Sie hören relativ simpel aufgebaute Beiträge in der Fremdsprache, aber über vertraute Orte, die sie möglicherweise aus ihrem Alltag kennen. Im Unterricht lässt sich hier wunderbar die reale Welt draußen mit der fremden Sprache verknüpfen – entweder bei einem tatsächlichen gemeinsamen Spaziergang, bei dem die Audiobeiträge der zu lernenden Sprache angehört werden, vielleicht in Form einer Schnitzeljagd. Oder über die Satelliten-Ansicht von Google-Maps als virtueller Spaziergang mit verknüpften Aufgabenstellungen, sozusagen als Augmented reality.

wb-web: Es macht sicher großen Spaß und erfüllt alle Beteiligten mit Stolz, wenn sie ihre selbstproduzierten Stücke etwa auf der Klingenden Landkarte anhören können – gab oder gibt es auch Probleme bei diesem Projekt?

Juliane Appel: Die Freude ist wirklich sehr groß! Eine Teilnehmende hat beim Anhören der finalen Version ihres Beitrags auf der Klingenden Landkarte Tränen in den Augen gehabt und gesagt, sie hätte nicht gedacht, dass sie das schaffen kann. Das war für uns alle rührend. Einfach ist das aber nicht.

Die schon angesprochene Hürde, einen Beitrag inhaltlich und sprachlich so zu gestalten, dass er qualitativ den Anforderungen der Klingenden Landkarte entspricht, konnten zwei unserer Teilnehmerinnen leider noch nicht nehmen, und wir konnten die Aufnahmen nicht online stellen. Das ist unglaublich frustrierend für alle Beteiligten. Hier gilt es, die Teilnehmenden nicht zu verlieren, sondern sie weiter dazu zu motivieren, gemeinsam mehr Zeit in die Realisierung ihres Beitrags zu investieren. Es soll keiner mit dem Gefühl versagt zu haben aus dem Projekt gehen. Dennoch erwarten wir von den Laien eine gewisse Professionalität – diesen Spagat müssen wir aushalten, bis das Ergebnis für alle stimmig ist.

wb-web: Was sind Ihre nächsten Pläne für das Projekt? Sie möchten das nun auch mit Deutschkursen ausprobieren?

Juliane Appel: Die nächste Phase ist die Produktion in die Deutsch- und Fremdsprachenkurse zu geben. Wir gehen wohl erst im kommenden Herbst in diese Phase, da wir vorab unbedingt einen klaren Fahrplan benötigen. Dazu gehört die didaktische Aufbereitung für die unterschiedlichen Kurse und das Training für interessierte Kursleitungen. Das ist noch ein Stück Arbeit neben dem eigentlichen Job hier an der vhs.

Tipp: Spaß haben

wb-web: Aber Sie können trotzdem empfehlen, Mini-Hörstücke in Sprachkursen zu produzieren? Was ist Ihr wichtigster Tipp dafür?

Juliane Appel: Das ist auf jeden Fall sehr zu empfehlen. Mein Tipp ist erstmal, entgegen aller Vernunft, denn es sieht nach viel Arbeit aus: Einfach ausprobieren! Wenn man sich erst einmal daran wagt, macht es auch viel Spaß, gerade weil es Learning by Doing bedeutet.

Wenn dann größere Ziele anvisiert werden, wie Onlineveröffentlichung, Ausstellungen, Audioguide und so weiter, geht es um Qualität. Hier kann ich sehr empfehlen einen kompetenten Kooperationspartner mit ins Boot zu holen. Wir haben mit dem Medienzentrum in Wiesbaden einen solchen gewonnen, darüber bin ich sehr froh. Es lohnt sich auch beim Lokalradio anzufragen: Eine Tontechnikerin oder ein Medienpädagoge haben die technische Expertise und einen geschulten Zugang zur Vermittlung in diesem Bereich. Also mein Tipp: Ausprobieren! Spaß haben!

wb-web: Herzlichen Dank für das Gespräch und wir sind gespannt, was wir von Ihnen noch alles hören werden! Alles Gute dafür.

Juliane Appel: Ja danke. Um auf dem Laufenden zu bleiben, können Sie immer mal wieder auf der Klingenden Landkarte vorbeischauen und dort unter der Rubrik „Wissen und Touren” durch Wiesbaden schlendern.

CC BY SA 3.0 DE by Alexandra Hessler für wb-web

Porträt Anne Juliane Appel

Anne Juliane Appel von der vhs Wiesbaden. (Bild: vhs Wiesbaden, nicht unter freier Lizenz)

Juliane Appel ist Programmbereichsleiterin Fremdsprachen an der vhs Wiesbaden. Sie ist für romanische, slawische und skandinavische Sprachen sowie Swahili und Thai zuständig und bietet in ihrer freien Zeit Workshops in den Bereichen Kultur und Kunst an.


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