Handlungsanleitung
OER in die Praxis integrieren
Zwei zentrale Grundgedanken des Konzepts der offenen Bildungsmaterialien sind Austausch und Zusammenarbeit. Eine Gemeinschaft von Praktikern ist deshalb der ideale Ort um das Potenzial von OER voll zu entfalten. Das Modell der „Communities of Practice“ bietet dabei eine nützliche Orientierung für Lehrende oder Institutionen für den Aufbau einer OER-Praxisgemeinschaft bzw. die Integration von OER in eine bestehende Community.
Austausch und Zusammenarbeit können sowohl als Bedingung, als auch als Ergebnis der Einführung von OER betrachtet werden- auf den ersten Blick ein Henne-Ei-Problem. Jedoch brauchen Austausch und Zusammenarbeit immer einen Beitrag von mehreren Menschen. Idealerweise ist dies eine Gemeinschaft von Menschen, die in ähnlicher Weise praktisch tätig sind. Daraus ergibt sich die Chance, die Erstellung und den Austausch von offenen Bildungsmaterialien in die Routine des Praxisfeldes zu etablieren.
Das vor allem in der Organisationsentwicklung und im Bereich der beruflichen Weiterbildung vielbeachtete Modell der „Communities of Practice“ (CoP) (Wenger 1998) geht davon aus, dass durch eine gemeinsame Praxis eine Gemeinschaft entstehen kann, die sich durch ein gemeinsames Interesse, aufeinander bezogenes zwischenmenschliches Handeln und ein gemeinsames Repertoire (zum Beispiel an Überzeugungen, Konzepten und Routinen) auszeichnet. CoP haben einen selbstorganisierenden Charakter und können sich sowohl online als auch offline bilden – auch Hybride sind denkbar. Dadurch ist es jedoch schwierig, ein allgemeingültiges Regelwerk für die erfolgreiche Etablierung einer CoP zu geben. Grundsätzlich sind dazu Maßnahmen geeignet, welche die oben genannten Dimensionen in ihrem Wachstum zu fördern, wie zum Beispiel durch:
- Etablierung von Workflows und Ritualen (zum Beispiel für das Lizensieren von OER oder kollegiale Feedback-Routinen),
- Schaffen von öffentlichen und geschützten Räumen für den wechselseitigen Austausch und Zusammenarbeit,
- Etablierung von verschiedenen Möglichkeiten der Teilhabe.
Um offene Bildungsressourcen als Standard in einer Institution bzw. einer Gemeinschaft von Lehrenden zu etablieren, sollten OER Schritt für Schritt eingeführt werden. Um den Prozess erfolgreich zum Abschluss zu bringen, empfiehlt es sich dabei folgende Punkte zu beachten:
- Relevante Personen und Ebenen sollten so früh wie möglich und sinnvoll in den Prozess eingebunden werden.
- Die gesammelten Erfahrungen und erarbeiteten Ergebnissen sollten kommuniziert bzw. als OER veröffentlicht werden.
- Nutzen Sie das Potenzial von OER als Alleinstellungsmerkmal und Reputations-werkzeug, indem Sie frühzeitig damit beginnen Ihre Bemühungen nach außen kommunizieren.
Die nachfolgend beschriebenen Schritte sind als grobe Orientierung zu verstehen. Sie müssen selbstverständlich auf die eigenen bzw. institutionellen Voraussetzungen und Bedürfnisse angepasst umgesetzt werden.
Machen Sie auf das Thema OER aufmerksam
Sprechen Sie das Thema zum Beispiel auf einer Mitarbeiterversammlung an oder thematisieren Sie das Konzept bei passender Gelegenheit im informellen Gespräch mit Kollegen und Kolleginnen. Diskutieren Sie die Chancen und Herausforderungen des Themas für die Institution und/oder Sie als Lehrende.
Finden Sie Gleichgesinnte
Nehmen Sie Kontakt zu anderen Lehrenden in ihrer Einrichtung oder in ihrem Arbeitsfeld auf, die ein Interesse am Thema OER haben. Tauschen Sie ihre jeweiligen Erfahrungen zur Nutzung und Erstellung von OER aus – formell wie informell.
Starten Sie ein kleines OER-Experiment
Schon Erich Kästner wusste: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“. Ob Sie nun schon OER aktiv gestaltet haben oder nicht, tun Sie sich mit interessierten Kollegen und Kolleginnen zusammen und wagen Sie gemeinsam das Experiment, eine OER zu erstellen. Im Verlauf ergeben sich natürlich Fragen, es müssen Schnittmengen und Kompromisse gefunden sowie Entscheidungen getroffen werden. Dies sind allesamt Prozesse, welche wechselseitige Verbindlichkeit stärken. Außerdem bietet sich dabei die Gelegenheit etwas dazu zu lernen – trotz oder gerade wegen der Tatsache, dass die Kolleginnen und Kollegen Kurse zu anderen Themen geben. Das Erstellen und Veröffentlichen von OER muss sich dabei nicht auf die Ebene der Kursleitenden beschränken. Die gemeinsame Erarbeitung mit Kursteilnehmern kann genauso erkenntnisreich sein.
Vom OER-Experiment zum OER-Projekt
Die logische Evolution des Experiments ist ein OER-Projekt, das Sie und Ihre Mitstreiter wie Mitstreiterinnen gemeinsam gestalten. Ein kleines Projekt könnte zum Beispiel das gemeinsame Erarbeiten und Durchführen eines Kurses oder einer Fortbildungsreihe zu einem Thema sein.
Zeitlich begrenzte Projekte haben mehrere Vorteile. Sie sind im Ressourcenbedarf besser abschätzbar und in der Regel besser zu finanzieren. Mit einer entsprechenden Zahl an Beteiligten hält sich der Aufwand für den/die Einzelnen im überschaubaren Rahmen. Trotzdem ist ein Projekt in der Regel umfangreich genug, dass es der Einrichtung von Workflows und Routinen erfordert und so die Entstehung von Ritualen fördert. Dem kollaborativen OER-Gedanken folgend sollte dabei Möglichkeiten und (physischen, zeitlichen, digitalen…) Räumen für Zusammenarbeit, Austausch und Feedback einen großer Stellenwert zugewiesen werden. Je nachdem wie das Projekt konzipiert ist, lassen sich später einige oder sogar alle davon auf die gesamte Abteilung oder die Einrichtung als Ganzes übertragen.
Entwickeln Sie eine OER-Strategie
Entwickeln Sie auf der Grundlage Ihrer gemeinsamen Erfahrungen aus den Schritten 3. und 4. eine Strategie, um die Nutzung, Gestaltung und Veröffentlichung von OER zum Bestandteil ihrer Praxis bzw. der institutionellen Praxis zu machen. Die Strategie umfasst sinnvollerweise auch Festlegungen um langfristig die Qualität und die Finanzierung zu sichern. Einen geeigneten Rahmen für die Erarbeitung kann zum Beispiel eine kollegiale Beratung (für eine individuelle Strategie) oder eine Zukunftswerkstatt (für eine institutionelle Strategie) sein. In die Werkstatt sollten alle Beteiligten bzw. Betroffenen einbezogen werden. Spätestens an diesem Punkt zahlt es sich aus, wenn Sie Ihre Aktivitäten frühzeitig innerhalb der Einrichtung kommuniziert haben. Die erfolgreiche Einführung von OER ist in Institutionen zumeist als gemischter Prozess (Bottom-Up, Top-Down, Peer-to-Peer) zu verstehen. Eine Zwangsverordnung ist der Akzeptanz von Maßnahmen gegenüber abträglich und widerspricht außerdem dem Gedanken der Offenheit der OER-Praxis. Das Werben um Beteiligung sowie deren systematische Sichtbarmachung und Würdigung in Verbindung mit dem zur Verfügung stellen von Ressourcen erweist sich mittel- und langfristig oft als nachhaltiger.
Integrieren Sie OER-Prinzipien in das institutionelle Selbstverständnis
Viele Bildungseinrichtungen und -dienstleister verfügen bereits über ein Selbstbild respektive eine Corporate Identity (CI). Die CI bietet Orientierung für Kunden ebenso wie für (zukünftige) Mitarbeitende, und ist ein zentrales Werkzeug für die Imagepflege. Die Erstellung und Annahme einer OER-Strategie bietet die Gelegenheit, OER-Prinzipien, wo möglich und sinnvoll, in das eigene Selbstverständnis zu integrieren. Dies erhöht die Chance, dass sie nicht nur Worthülsen auf geduldigem Papier bleiben. Ein Beispiel für eine gelungene Integration von OER-Prinzipien in das Selbstverständnis findet sich beispielsweise bei der Agentur für Medienbildung.
Welche Erfahrungen haben Sie mit der Integration von OER in Ihre persönliche bzw. institutionelle Praxis gemacht? Schreiben Sie uns!
CC BY-SA 3.0 DE by Jan Koschorreck für wb-web (19.01.2018), letztmalig geprüft am 12.09.2023