Kulturelle Bildung
Welche Zugänge existieren und wie können sie gestaltet werden?
DefinitionWas ist das?
Fleige, Gieseke und Robak beschreiben „Kulturelle Bildung“ als
„Aktivierung der eigenen Wahrnehmungs- wie Ausdrucksfähigkeit sowie Eröffnung und Förderung individueller Perspektiven auf sich, andere und die Welt im Medium von (Kunst-) Werken/Artefakten der Hoch-, Pop-, Sozio- und Alltagskultur als auch in Bezug auf Praktiken/Lebenswelten“ (Fleige, Gieseke & Robak 2015, S. 14; Gieseke 2003, S. 25).
GeschichteWoher kommt das?
Als Teilbereich der Erwachsenenbildung- und Weiterbildung war die Kulturelle Bildung zuerst bei den Volkshochschulen (VHS) fester Part des Programms und wurde es auch bei verschiedenen anderen öffentlichen und privaten Trägern. In den letzten Jahrzehnten greift die Kulturelle Bildung über die Erwachsenenbildung hinaus auch in andere Institutionen aus, etwa in Museen, Theater, Vereine, Cafés etc. Hier entwickelt sie sich kontinuierlich als „Beigeordnete Bildung“, d.h. als Angebot in Organisationen und Institutionen, deren Hauptaufgabe nicht zuvorderst Bildung ist (vgl. Gieseke, Opelt/Stock & Börjesson 2005; Fleige/Gieseke/Robak 2015: Kap. 1; Gieseke/Krueger 2017).
Auch Unternehmen entwickeln über kulturelle Bildungsangebote ihre Personalentwicklung weiter (Gerdiken 2017). Sichtbar wird hier ein Interesse, bei den Mitarbeitenden sowohl kreative Fähigkeiten zu unterstützen als auch Ressourcen aufzuspüren, die für (andere) berufliche Tätigkeiten nützlich sind. Dies zielt auf ein sogenanntes Optimierungsinteresse. Kulturelle Bildung gehört nicht zu einem gewachsenen Kanon der beruflich-betrieblichen Weiterbildung bzw. Personalentwicklung, gewinnt aber in diesem Kontext derzeit stark an Bedeutung. Es handelt sich hier ebenfalls um Beigeordnete Bildung, da auch in Unternehmen Weiterbildung nicht zum Hauptanliegen des Aufgabenspektrums zählt.
Zu beobachten ist nunmehr auch, dass sich Trägerstrukturen der öffentlichen Erwachsenenbildung/Weiterbildung, beispielsweise die vhs, auf diese Entwicklungen einstellen und in der Transferierung von Nachfrage und Bildungsinteressen ein wachsendes Angebot zur Selbstoptimierung unterbreiten (Robak/Fleige/Sterzik/Seifert/Teichmann/Krueger 2015). Eine weitere Entwicklung ist die Stärkung eines semiprofessionellen Bereichs künstlerischer Betätigung, wie sich an aktuellen Programmangeboten ablesen lässt (vgl. Robak & Fleige et al. 2015).
MerkmaleWie geht das?
Zugänge zur kulturelle Bildung differenzieren sich entsprechend der Angebotsformate in
- systematisch-rezeptiv
- selbsttätig-kreativ
- verstehend-kommunikativ
(Fleige, Gieseke & Robak 2015, S. 14; sowie Kapitel 6, 7 und 8)
„Systematisch-rezeptive“ Angebote fokussieren das Wahrnehmen, Deuten und Sich-selbst-in-der-Welt-Platzieren.
Die Methoden des Wahrnehmens zielen auf die theoretische Wissenserweiterung durch die Verbindung von Wissen und sinnlicher Wahrnehmung sowie der Eröffnung einer künstlerisch-ästhetischen Erfahrung. Die Teilnehmenden sollen über die Rekonstruktion und kritischer Reflexion von Kunst und Kultur zur Teilhabe befähigt werden. Prinzipiell steht heute – bezogen auf systematisch-rezeptiv angelegte Angebote – allen Bevölkerungsgruppen die Kulturelle Bildung offen – mit Einstiegen auf unterschiedlichen Wissens- und Kompetenzniveaus.
„Selbsttätig-kreative-“ Zugänge zeichnen sich durch die künstlerische Eigentätigkeit der Teilnehmenden aus.
Das kreativ-selbsttätige Arbeiten wird dabei in drei Kategorien unterschieden:
- Schärfung der individuellen sinnlichen Wahrnehmung von der Welt im Prozess des eigenen Tuns
- Erarbeitung von Techniken
- Den eigenen kreativen Ausdruck finden im Zusammenspiel von Technik und Wahrnehmung. (Fleige, Gieseke & Robak 2015, S. 113).
Ziel ist es, die sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit in Raum und Atmosphäre sowie die spezifischen Techniken und das Handwerk zusammenzufügen und anschließend sich selbst in der jeweiligen Form auszudrücken und/oder ein eigenes Statement abzugeben.
Die Auseinandersetzung mit kultureller Praxis und kulturellem Wissen steht im Zentrum „verstehend-kommunikativer“ bzw. „transkultureller“ Zugänge. Hierzu deuten, dekonstruieren und konstruieren die Teilnehmenden die Welt.
Das heißt, dieser Zugang nutzt sowohl systematisch-rezeptives Wissen wie auch selbsttätig-kreative Erfahrungen, um unter kulturellen Differenzen und transkulturellen Vorstellungen eine Neuauslegung und die eigene Selbstpositionierung zu erreichen.
HandlungsfelderWo brauche ich das?
Die Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit kulturelle Artefakten und Praktiken im Rahmen Kultureller Bildung soll den Menschen dazu befähigen, Perspektivwechsel einzunehmen und eine neue Sicht auf die Dinge zu erlangen. Ziel ist es, dass die bzw. der Lernende die Fähigkeit erlangt und sich in einer stetig verändernden Lebenswelt zurecht- und seine eigene Position zu finden. Sowohl das Wissen um kulturelle Lebenswelten wie auch die handwerklichen Techniken stellen die Grundlage für eine reflektierende Auseinandersetzung mit einem Werk wie mit verschiedenen Lebenswelten, auch im Austausch mit anderen.
DiskussionWas wird diskutiert?
Ende 2019 hätte die Antwort auf diese Frage wahrscheinlich gelautet: Insbesondere die Verwendung von Sprache in der aktuellen Debattenkultur in den sozialen Medien zeugt von einem Wertewandel im kulturellen Umgang miteinander. Der Einfluss und der bildungspolitische Auftrag der Kulturellen Bildung hätten im Fokus gestanden. Das Verbindende, die Schönheit, der Weckruf, aber auch die Auseinandersetzung mit dem Fremden oder der eigenen Entwicklung, dies alles wären mögliche Inhalte eines Diskurses gewesen.
Wie in allen Lebensbereichen nimmt auch die Digitalisierung in der Kulturellen Bildung einen großen Raum ein. Digitale Techniken u.a. zur Rekonstruktion, Transfer und Vernetzung setzen neue Akzente, die wiederum helfen, neue Zielgruppen mit neuen Zugängen zu erschließen (siehe insbesondere BMBF-Förderschwerpunkt zur Digitalisierung in der Kulturellen Bildung: https://www.dikubi-meta.fau.de/).
Eine neue, aktuelle und gleichfalls politisch diskutierte Fragestellung ist diejenige nach der Kulturellen Bildung in Ländlichen Räumen angesichts von starken Peripheriebedingungen (BMBF-Förderschwerpunkt: https://www.empirische-bildungsforschung-bmbf.de/de/2976.php).
Krisen, wie Anfang 2020 die Covid-19-Pandemie, bringen alle Bereiche des öffentlichen Lebens, insbesondere kulturelle Bildung an ihre Grenzen. Ausgangssperren und der Aufruf zur sozialen körperlichen Distanz bedeuten für viele kulturelle Einrichtungen den drohenden Ruin. Die Frage „Wie bringe ich meine Kunst zu meiner Kundin, meinem Kunden, zu den Lernenden?“ forciert das Kunstangebot spartenübergreifend in digitalen Medien.
Internationale BezügeWie sieht man das woanders?
Diese Fragestellungen zu Kultureller Bildung sind insoweit universell, als dass sie die anthropologischen Bedingungen von Bildung und Bildungsinteressen betreffen. Die Formen und Formate wie auch die Ausgestaltung der Übergänge zum Politischen, aber auch die Übergänge von Kultureller Bildung zu Kultureller Praxis (Gieseke et al., 2005) können aber verschieden sein, jeweils abhängig von den gesellschaftlichen, gesellschaftspolitischen und sozialräumlichen Bedingungen, unter denen sich (Kulturelle) Bildungsprozesse vollziehen (Fleige, 2013). So kann Kulturelle Bildung etwa andernorts stärker mit einem Impetus des Community-Building verbunden sein (ebd.).
Verwandte Begriffe
Interkulturelle Bildung, Tradition, Museumspädagogik, Musikpädagogik, Gesellschaftspolitische Bildung, Politische Bildung, Handwerkskunst
Zur Reflexion
- Beschreiben Sie die verschiedenen Zugänge zur Kulturellen Bildung.
- Welche Möglichkeiten sehen Sie für die Kulturelle Bildung in der digitalen Welt.
Literaturliste
Fleige, M. (2017). Zentrale Zugangsportale kultureller Bildung im Wandel: Systematisch-rezeptiver und selbsttätig-kreativer Zugang. Hessische Blätter für Volksbildung, 67(4), 324–332. Verfügbar unter http://dx.doi.org/10.3278/HBV1704W324
Der Beitrag führt näher in zentrale Zugangsportale der Kulturellen Bildung ein, wie sie in Programmanalysen erschlossen wurden. Er steht damit in enger Verbindung mit den Beiträgen von Gieseke und Robak in diesem Heft. Das systematisch-rezeptive und das kreativ-selbsttätige Portal stehen hier im Mittelpunkt. Ergebnisse aus vorliegenden Programmanalysen zum Wandel dieser beiden Portale werden zusammenfassend dargestellt.- Fleige, M., Gieseke, W. & Robak, S. (2015). Kulturelle Erwachsenenbildung. Strukturen - Partizipationsformen - Domänen (Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung). Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. Verfügbar unter https://www.die-bonn.de/id/31720/about/html/
Bedeutung der kulturellen Erwachsenenbildung steht im Fokus der Monografie. Die Autorinnen gliedern basierend auf vorliegenden empirischen Ergebnissen der Programmforschung das Thema in drei Teile. Die Monografie formuliert erstmals eine Theorie für eine kulturelle Erwachsenenbildung. Sie beschreibt institutionelle, organisatorische Ausdifferenzierungen, stellt Bildungsinteressen und die Teilnehmendenpartizipation dar und wertet in einem größeren Schwerpunkt meso- und mikrodidaktische Partizipationsformen kulturtheoretisch aus.
- Fleige, M., Gassner, J. & Schams, M. (Hrsg.). (2020). Kulturelle Erwachsenenbildung: Bedeutung, Planung und Umsetzung. Reihe: Perspektive Praxis. Bielefeld: wbv media.
Der Band aus der Reihe „Perspektive Praxis“ bietet ein Darstellungsraster zu Erfassung der Zugänge zur kulturellen Erwachsenenbildung. Hieraus können Empfehlungen zur Programmgestaltung und für die Praxisarbeit abgeleitet werden.
Büchel, K., Eichhorn, F., Fleige, M., Gieseke, W., Graeser, N. & Hinz, Ottmar et al. (2018). Kulturelle Bildung in der Evangelischen Erwachsenenbildung. In M. Glatz, C. Iller, F. Schirrmacher & P. Schreiner (Hrsg.), Erwachsenenbildung (Erwachsenenbildung, Bd. 3). Münster: Waxmann.
Bundesministerium für Bildung und Forschung. (2020). DiKuBi – Digitalisierung in der Kulturellen Bildung. Verfügbar unter https://www.dikubi-meta.fau.de/
Bundesministerium für Bildung und Forschung. (2020). Kulturellen Bildung in Ländlichen Räumen. Verfügbar unter https://www.empirische-bildungsforschung-bmbf.de/de/2976.php
Fleige, M. (2013). Bildungskulturen – Kultur als Thema von Bildung – transkulturelle Bildung. In B. Käpplinger (Hrsg.), Engagement für die Erwachsenenbildung: ethische Bezugsnahmen und demokratische Verantwortung. Festschrift für Wiltrud Gieseke. Wiesbaden: Springer VS.
Fleige, M. (2017). Zentrale Zugangsportale kultureller Bildung im Wandel: Systematisch-rezeptiver und selbsttätig-kreativer Zugang. Hessische Blätter für Volksbildung, 67(4), 324–332. Verfügbar unter http://dx.doi.org/10.3278/HBV1704W324
Fleige, M. (3). Weiterbildung im Sozialraum. Kategorien für die Modellierung sozialräumlicher Bildungspartizipation in erwachsenendidaktischer Perspektive. DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung, 2013(45-47).
Fleige, M., Gassner, J. & Schams, M. Kulturelle Erwachsenenbildung: Bedeutung, Planung, Umsetzung. (Perspektive Praxis). Bielefeld: wbv Publikation.
Fleige, M., Gieseke, W. & Robak, S. (2015). Kulturelle Erwachsenenbildung. Strukturen – Partizipationsformen – Domänen (Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung). Bielefeld: W. Bertelsmann.
Fleige, M. & Robak, S.. Kulturelle Erwachsenenbildung: (Bildungs-)Interessen, Strukturen, Partizipationsformen – und ihre Übersetzung in Wissensstrukturen für Programmentwicklung. Verfügbar unter https://www.kubi-online.de/artikel/kulturelle-erwachsenenbildung-bildungs-interessen-strukturen-partizipationsformen-ihre
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Gieseke, W. (2005). Professionalisierung in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung. In R. Tippelt (Hrsg.), Handbuch Erwachsenenbildung, Weiterbildung (S. 418–428). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
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Gieseke, W., Opelt, K., Stock, H. & Börjesson, I. (Hrsg.). (2005). Kulturelle Erwachsenenbildung in Deutschland. Exemplarische Analyse Berlin/Brandenburg (Europäisierung durch kulturelle Bildung, Bd. 1). Münster: Waxmann.
Glatz, M., Iller, C., Schirrmacher, F. & Schreiner, P. (Hrsg.). (2018). Erwachsenenbildung (Erwachsenenbildung, Bd. 3). Münster: Waxmann.
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Robak, S., Fleige, M. & Petter, I. (2016). Zugänge Interkultureller Bildung: Befunde, Interpretationen, Theoriebildung. In Hummrich, Merle, Pfaff, Nicolle, I. Dirim & C. Freitag (Hrsg.), Kulturen der Bildung: Kritische Perspektiven auf erziehungswissenschaftliche Verhältnisbestimmungen (S. 171–189). Heidelberg: Springer VS.
Tippelt, R. (Hrsg.). (2005). Handbuch Erwachsenenbildung, Weiterbildung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.