Kollaborative Professionalisierungsmaßnahmenden sind für Lehrende in der Grundbildung bislang wenig bzw. unzureichend erforscht. Die diesem Text zugrundeliegende Studie beschreibt Gelingensbedingungen des kollaborativen Lernens in der Lehrkräfteprofessionalisierung am Beispiel der Finanziellen Grundbildung entlang einer Lernspielvalidierung. Das Lernspiel MONETTO, im Projekt „Curriculum und Professionalisierung der Finanziellen Grundbildung - CurVe II“ für die Finanzielle Grundbildung entwickelt, wurde hierzu ausgewählt.
Worum geht es in dieser Studie?
Ausfälle des Kursangebots, wie z.B. durch die Pandemie, befördern die Modifizierung der Lehr-Lern-Materialien von Präsenz- zu Online-Angeboten. Die Studie enthält eine Fortbildung zum kollaborativen Lernen und Arbeiten für Lehrende. In deren Mittelpunkt steht die Validierung eines kollaborativen Lernspiels. Letztere erfolgte auf Distanz und digital. Die Fortbildung wurde evaluiert und analysiert.
Die Validierung des Lernspiels erfolgte zum einen auf der Aktionsebene durch das kollaborative Spiel der Lehrenden und dessen Bewertung auf einer 4-stufigen Skala, sowie auf der Transferebene mittels der Selbstanalyse der Gruppendiskussionen über das Lernspiel.
Die Studie fokussiert die personenbezogenen Faktoren der Lehrenden, die sich in Kollaborationsprozessen als relevant erwiesen haben und deren Stärkung ein Ziel von Qualifizierungsangeboten ist. Merkmale für Kollaboration sind
- eine Kommunikation, die ein gemeinsames Verständnis schafft,
- eine Kooperation, die zur Planung und Problemanalyse beiträgt sowie
- eine Responsivität, die auf eine aktive Beteiligung am Gruppenprozess zielt (vgl. Hesse et al. 2015).
Untersucht wurde, wie im Setting der „kollaborativen Lernspielvalidierung“ der situationale Motivationszustand durch Fortbildungsbedingungen gefördert werden kann und welche Bedingungen zum Gelingen von Kollaboration zwischen Lehrenden in einer Fortbildung beitragen.
In einem mehrstufigen Verfahren wurde die Beziehung zwischen der wahrgenommenen Wirksamkeit des Kollaborationsprozesses für die eigene Arbeit, der Entstehung des situationalen Interesses an Kollaboration und der Berufserfahrung der Lehrenden aufgeklärt. Die Gelingensbedingungen eines Kollaborationsprozesses werden mittels der Auswertung der qualitativen Daten des Protokolls ermittelt.
Was fand die Studie heraus?
Erfolgreiches kollaboratives Lernen setzt sich aus unterschiedlichen Gelingensbedingungen zusammen. Als relevant zählen u.a. Teamorganisation, Leitung eines Teams und Aufgabenteilung innerhalb eines Teams.
Der Aufbau einer Teamorganisation ist für eine kollaborative Zusammenarbeit notwendig. Hierzu zählen die Klärung technischer Voraussetzungen für die Zusammenarbeit, die Zugriffsmöglichkeiten aller Teilnehmer auf Dokumente und Informationen. Vorteilhaft sind eine Rollenvergabe und Arbeitsteilung bzw. Aufgabenzuschreibung sowie eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre.
- „Die Leitung der kollaborativen Zusammenarbeit übernimmt eine auszuwählende Person, die das Spiel anleitet, bei der Rollenvergabe unterstützt und die Diskussion moderiert.
- Basis für kollaborative Zusammenarbeit ist die Aufgabenteilung. Individuelle Beiträge werden ohne Konkurrenzkampf für das gemeinsame Ergebnis geleistet.
- Ein kollaborativ erschlossenes gemeinsames, kontextuelles Verständnis ist ein weiterer Erfolgsfaktor für kollaborative Zusammenarbeit. Der Erschließungsprozess erfolgt in einer ergebnisoffenen Diskussion.
- Gegenseitige Unterstützung der Teilnehmenden bei geplanten, zielgerichteten Handlungen ist ebenfalls Teil einer gelingenden kollaborativen Zusammenarbeit.
- Perspektivwechsel durch die Übernahme verschiedener Rollen entwickeln die kollaborative Zusammenarbeit.
- Die gemeinsame Erfolgskontrolle stärkt die kollaborative Zusammenarbeit. Rückfragen und Ergänzungen helfen, Ergebnisse zu kontrollieren und Rollen neu zu definieren." (vgl. Winther et al. 2021)
Als Ergebnis der qualitativen Analyse zeigte sich, dass die drei Dimensionen der kollaborativen Zusammenarbeit
- gemeinsames Verständnis schaffen und aufrechterhalten
- angemessen Handeln, um das Problem zu lösen und
- Teamorganisation aufbauen und aufrechterhalten (OECD 2017; Zehner et al. 2019)
als hochwirksam eingeschätzt werden. Im Hinblick auf kollaborative Lerngemeinschaften von Lehrenden erweisen sich pädagogische Aufgaben und instruktionale Herausforderungen als Gelingensbedingungen wie die Fähigkeit zur Perspektivübernahme, das Einhalten der Arbeitsprozessschritte und Aufgabenbeschreibungen.
Die Berufserfahrung wirkt sich signifikant auf die Rolle des Moderators aus. So gestalten Lehrende mit höherer Berufserfahrung Teamorganisationen häufiger aktiv mit. Zudem fordern erfahrende Lehrende für die Gestaltung des Kollaborationsprozesses deutlicher die Führung bzw. Leitung ein als unerfahrene Lehrende. Auch beharren erfahrende Lehrende stärker auf ihren Problemlösestrategien und –methoden und diskutieren umfangreich das kollaborativ entwickelte, gemeinsame Verständnis im Gegensatz zu den weniger erfahrenen Lehrenden.
Warum sind die Ergebnisse für die Erwachsenenbildung relevant?
Die Berufserfahrung der Lehrenden ist ein zentraler Faktor, der sich unterschiedlich auf Veränderungsprozesse auswirkt. Sie beeinflusst maßgeblich die Beziehung zwischen der individuell wahrgenommenen Wirksamkeit einer kollaborativen Lehrkräfteprofessionalisierung und die Motivationen der Lehrenden. So muss für erfahrene Lehrende die Wirksamkeit in der instruktionalen Praxis erfahrbar sein, um Einstellungen und Überzeugungen zu neuen (über-)fachlichen und pädagogischen Themen zu verändern. Die wahrgenommene Wirksamkeit der Kollaboration wirkt sich abhängig von der Berufserfahrung unterschiedlich auf das situationale Interesse an Kollaboration aus. Der Einfluss vorhandener Einstellungen und Überzeugungen auf den Kollaborationsprozess wie z.B. Freude an der Zusammenarbeit muss indes in weiteren Studien aufgeklärt werden.
Beim Design kollaborativer Fortbildungsangebote sind folgende Aspekte relevant: direktes Feedback, Förderung von state-Komponenten der Motivation, Berufserfahrung von Lehrkräften und Lerngelegenheiten nach der Fortbildung. Für die Einführung erfolgreichen kollaborativen Lernens in Bildungseinrichtungen werden zehn Merkmale empfohlen:
- „wechselseitiges Interesse und gemeinsame Ziele
- gegenseitiges Vertrauen und Respekt
- gemeinsame Entscheidungsproesse
- klarer Fokus
- überschaubare Lerninhalte
- Engagement der Leitung
- steuerliche Unterstützung
- langfristiges Commitment
- dynamische Natur
- Informationsaustausch und Kommunikation" (Darling-Hammond 1994, zit. n. Duncombe und Amour 2004)
Die aus der Studie hervorgegangenen Empfehlungen beziehen sich sowohl auf die Organisationsstruktur als auch auf die individuelle Ebene der einzelnen Lehrkraft. So lautet eine Empfehlung, auf Organisationsebene „Formate zu entwickeln, die Implementierungsbarrieren (hier insbesondere Zeit, Kosten, Zugang zu Fortbildungen) abbauen" (Winther et al., 2021). Die in der Studie identifizierten Gelingensbedingungen können auf der individuellen Ebene indirekt die Relation zwischen Berufserfahrung und Einstellungen sowie Überzeugungen der Lehrkräfte beeinflussen. Dies gelingt auf Grundlage der erhöhten Wahrscheinlichkeit, die Wirksamkeit von Kollaboration in der eigenen Praxis wahrzunehmen und zu erleben (vgl. Winther et al., 2021).
Die Studie bietet etliche Implikationen für die Weiterbildungsforschung. So schreiben die Autor*innen „ist es wünschenswert, das Konstrukt der Berufserfahrung der Lehrkräfte zu modellieren, um zu beantworten, welche Faktoren der Berufserfahrung den Transfer von neu gelernten pädagogischen Skills und Methoden in die eigene Lehrpraxis beeinflussen können“ (Winther et al. 2021).
Wo finde ich den Originaltext zum Nachlesen?
Die Zitation lautet wie folgt:
Winther, E., Paeßens, J., Ma, B. et al. (2021). Auf dem Weg zu mehr Kollaboration: Kollaboratives Lernen als Ansatz der Lehrkräfteprofessionalisierung in der Grundbildung. ZfW 44, 285–309 (2021). https://doi.org/10.1007/s40955-021-00195-2
Schlüsselwörter:
Kollaboratives Lernen, Lehrkräftefortbildung, Professionalisierung, Lernspiel, Mixed Methods, Finanzielle Grundbildung
Literatur
Darling-Hammond, L., & McLaughlin, M.W. (1995). Policies that support professional development in an era of reform. Phi Delta Kappan, 76, 597–604.
Duncombe, R., & Armour, K. (2004). Collaborative professional learning: from theory to practice. Journal of in-Service Education, 30(1), 141–166. https://doi.org/10.1080/13674580400200230.
Hesse, F., Care, E., Buder, J., Sassenberg, K., & Griffin, P. (2015). A framework for teachable collaborative problem solving skills. In E. Care & P. E. Griffin (Hrsg.), Assessment and teaching of 21st century skills: methods and approach (S. 37–56). Cham: Springer.
KMK (2011). Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen: Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 20.10.2011. kmk.org. Zugegriffen 07.02.2022
OECD (2017). PISA 2015 assessment and analytical framework: science, reading, mathematic, financial literacy and collaborative problem solving. Paris: OECD Publishing. https://doi.org/10.1787/ 9789264281820-en
OECD (2020). Back to the future of education: Four OECD scenarios for schooling. Educational research and innovation. Paris: OECD Publishing. https://doi.org/10.1787/178ef527-en
Winther, E., Paeßens, J., Ma, B. et al. Auf dem Weg zu mehr Kollaboration: Kollaboratives Lernen als Ansatz der Lehrkräfteprofessionalisierung in der Grundbildung. ZfW 44, 285–309 (2021). https://doi.org/10.1007/s40955-021-00195-2
Zehner, F., Weis, M., Vogel, F., Leutner, D., & Reiss, K. (2019). Kollaboratives Problemlösen in PISA 2015: Deutschland im Fokus. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 22(3), 617–646..
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