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Food Literacy – Grundbildung zum Schmecken

Das Bild zeigt eine Frau beim Lesen und Schreiben lernen.

Work in progress (Bild: © Mara Monetti www.maramonetti.de)

Essen ist ein Thema, bei dem alle mitreden können. Es eignet sich, um Lernende unterschiedlichen Alters und/oder aus verschiedenen Kulturen ins Gespräch zu bringen. Food Literacy nutzt das Thema Essen als „Vehikel“, um kursspezifische Inhalte zu vermitteln und Gruppenprozesse positiv zu gestalten. Insbesondere in Alphabetisierungskursen hat sich Food Literacy bewährt.

Unseren Ernährungsalltag zu bewältigen erfordert heute viel mehr als kochen zu können. Wir sind von einem unüberschaubaren Lebensmittelangebot überfordert und mit widersprüchlichen Ernährungsempfehlungen konfrontiert. Gleichzeitig vermitteln Familie und Schule wenig Wissen über die Zusammensetzung und Zubereitung von Lebensmitteln. Auch im Bereich der Ernährung geht die soziale Schere weiter auseinander. Die Folgen dieser Diskrepanz zwischen Anforderungen und Kompetenzen können dramatisch für die Gesundheit der Einzelnen und schwerwiegend für Gesellschaft und Umwelt sein (Müller et al., 2007, S. 46).

Food Literacy unterstützt die Erwachsenenbildung, Ernährungskompetenz als Querschnittsthema in ihre vielfältigen Angebote zu integrieren. Der Ansatz von Food Literacy wurde im Rahmen eines gleichnamigen GRUNDTVIG-Projekts zwischen 2004 und 2007 entwickelt. Food Literacy will nicht „gesunde Ernährung“ thematisieren, sondern ein alltagnahes Thema für die Erwachsenenbildung liefern und das Bewusstsein für Essen und Trinken fördern. Das aus dem Projekt entstandene Handbuch Essen als Thema in der Erwachsenenbildung – Food Literacy wurde vom ehemaligen aid-infodienst e.V. (heute Bundeszentrum für Ernährung) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Erwachsenenbildung erprobt, evaluiert und weiterentwickelt. Es bietet Kursleitenden zahlreiche Übungen, die sie flexibel einsetzen können, um die eigenen kurs- und fachspezifischen didaktischen Ziele umzusetzen, die Sensibilisierung für Essen und Trinken zu fördern und ein angenehmes Lernklima zu schaffen.

 Im Rahmen des Projekts „Alphabetisierung und Bildung (AlBi )“ wurde Food Literacy in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Volkshochschulverband (hvv) als Querschnittsthema für die Grundbildung überprüft. Die Übungen des Handbuchs wurden auf ihre konkreten Umsetzungsmöglichkeiten in einem Alphakurs der vhs Frankfurt erprobt und ein Fortbildungskonzept für Kursleitende entwickelt und evaluiert (Klinger, 2011).

 Erfahrungen aus zehn Jahren Praxis zeigen, dass der Ansatz und die Übungen dazu beitragen, handlungsorientierte und niederschwellige Lernprozesse in der Grundbildung zu gestalten (Groeneveld et al., 2011).

Das Bild zeigt eine Tafel mit Wörtern.

Richtig geschrieben schmeckt besser  (Bild: © Mara Monetti www.maramonetti.de)

Acht (und mehr) gute Gründe, Food Literacy in Alphakursen einzusetzen

  1.  Das „Alle-Welt“-Thema Essen und Trinken erleichtert den Einstieg ins Lernen. Es ist ein Thema, das alle betrifft, über das alle mitreden können. Die Einbettung des Lese- und Schreiberwerbs in ein alltagsnahes Thema hat ein integratives und motivationsförderndes Potenzial.
  2.   Durch den Alltagsbezug kann das Gelernte unmittelbar in die Praxis umgesetzt werden. Der Lernerfolg steigert die Lernmotivation.
  3. Lernende in Alphakursen mögen Schwierigkeiten mit Lesen und Schreiben haben. Sie haben aber Expertise in anderen Bereichen. Vielleicht können sie kochen oder kennen sich gut mit Einkaufsmöglichkeiten aus. Mit Food Literacy können sie als Experten auftreten und ihr Wissen (z.B. Rezepte, Tipps) an andere, auch an die Lehrkraft, weitergeben. Diese Kompetenzorientierung stärkt das Selbstwertgefühl und fördert eine aktive Teilnahme. 
  4. Das Thema Essen und Trinken ist immer mit Emotionen verbunden. Die Gehirnforschung hat festgestellt, dass Erfahrungen mit Essen im limbischen System gespeichert werden, das für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist. „Genussvolle“ Erinnerungen und Emotionen wirken sich positiv auf das Lernen aus und bauen Ängste und Hemmungen ab. 
  5.   Gerade ein Thema wie Essen und Trinken spricht alle Sinne an. Übungen zum Schmecken, Sehen, Fühlen und Hören ermöglichen ein Lernen mit allen Sinnen und lösen somit den Anspruch ganzheitlichen Lernens ein.
  6. Ernährung sorgt heutzutage für Schlagzeilen. Daher ist die Verknüpfung von persönlichen mit gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen Themen bei Food Literacy „vorprogrammiert“. Dies liefert reale Anlässe für einen lebendigen und diskussionsreichen Unterricht.
  7. Das Thema Ernährung eignet sich gut für Binnendifferenzierung. Die gleichen Inhalte können sehr differenziert auf unterschiedlichen Niveaustufen bearbeitet werden. Dadurch kann ein breites Spektrum von präliteralen Fähigkeiten bis hin zu Rechtschreibübungen trainiert werden. Jeder kann seinen Zielen und Fähigkeiten entsprechend lernen und gefördert werden. 
  8. Food Literacy will nicht primär „gesunde Ernährung“ thematisieren. Trotzdem kann die Beschäftigung mit Essen und Trinken zum Nachdenken über das eigene Essverhalten „ohne erhobenen Zeigefinger“ und zu einer Vertiefung des Themas Ernährung (in speziellen Bildungsangeboten) führen. 
Das Bild zeigt die Ergebnisse eines Alphabetisierungskurses zum Thema Weihnachten.

Die Weihnachstmenus sind fertig: Weihnachten kann kommen

(Bild: © Mara Monetti www.maramonetti.de)

Food Literacy eignet sich besonders gut für den Einsatz in Alphakursen. Dank der   Verknüpfung unterschiedlicher Kompetenzen, Interessen und Lernbedürfnisse ... ermöglicht [es] einen abwechslungsreichen, aktiven und teilnehmerorientierten Unterricht. Food Literacy fördert schriftsprachliche und präliterale Fähigkeiten sowie das selbstständige Arbeiten, das Einbringen eigener Ideen sowie den Austausch innerhalb der Gruppe. Zudem werden die Teilnehmenden für das Thema Essen und Trinken sensibilisiert und zu einer weiteren Beschäftigung mit diesem Themenbereich angeregt. 

So fasst die AlBi-Arbeitsgruppe die Vorteile von Food Literacy für die Alphabetisierungsarbeit zusammen (ebd., S. 14).

 Die AlBi-Erprobung hat folgende Ziele von Food Literacy in Alphakursen hervorgehoben:

  •  Verbesserung der Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse sowie der präliteralen Fähigkeiten
  • Thematisierung von Preisen und Mengenangaben (Preisvergleich)
  • Sensibilisierung für das Thema Essen und Trinken
  • Bewusstmachung der eigenen Einstellung zum Kochen, Essen oder zu bestimmten Gerichten
  • Kennenlernen der Vielfalt an Lebensmitteln, Gerichten und Zubereitungstechniken
  • Einbezug verbundener Themen (z.B. Einfluss der Werbung und anderer äußerer Bedingungen auf das eigene Essverhalten)
  • Reflexion des eigenen Ess- und Einkaufverhaltens
  • Erfolgserlebnisse/Stärkung des Selbstwertgefühls
  • Einsatz der Übungen zur Aktivierung und Förderung der Gruppendynamik
  • Steigerung der Lernmotivation
  • Verbesserung der Kursatmosphäre
  • Ergebnisse „zum Anfassen“ und Vorzeigen

(Groeneveldt et al., 2011, S. 11).

 

Wir hoffen, damit Appetit auf mehr Food Literacy geweckt zu haben!


Das Handbuch Food Literacy ist über das Bundeszentrum für Ernährung erhältlich:

http://shop.aid.de/3971/essen-als-thema-in-der-erwachsenenbildung-food-literacy, https://www.bzfe.de/inhalt/food-literacy-1390.html

 

In einem nächsten Blog werden wir über die weiteren Entwicklungen von Food Literacy berichten und neue Materialien des Bundeszentrums für Ernährung zum Thema Food & Move Literacy vorstellen.


CC BY SA by Matilde Grünhage-Monetti für wb-web.


Kontakte

Grünhage-Monetti

matilde.monetti@unitybox.de

 

Kontakt zum Bundeszentrum für Ernährung:

Dr. Mareike Daum
Telefon 0228 8499-134
m.daum@aid-mail.de


Literaturtipps