Die Autor*innen unter der Herausgeberschaft von Olaf Zimmermann und Hubert Weiger stellen sich der Frage „Wie der Kultur- und Naturbereich gemeinsam die UN-Nachhaltigkeitsziele voranbringen können“. Die Expert*innen nehmen hierzu die 17 Nachhaltigkeitsziele der globalen Agenda 2030 in den Blick und präsentieren vielfältige Facetten und Herausforderungen. Ihr Ziel ist es, nicht nur eine nachhaltige Kultur zu schaffen, sondern auch eine Kultur der Nachhaltigkeit zu etablieren.
Kreative Arbeit besitzt das Rüstzeug, um zum einen auf Mängel und Probleme wie zum Beispiel soziale Krisen aufmerksam zu machen und zum anderen Lösungsmöglichkeit zu entwickeln und zu fördern. In der vorliegenden Publikation verbinden die Autor*innen beides, um ökologische, ökonomische, soziale und kulturelle Herausforderungen zur Erreichung der Klimaziele anzugehen und zu bewältigen. Hierzu ist auf allen Ebenen ein Kulturwandel erforderlich. Alle 17 Klimaziele werden in diesem Werk im Einzelnen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet.
Aus dem Inhalt
Überlebenswichtig ist der Kampf gegen Hunger. Hier zeigen gerade die jüngsten Krisen wie, Dürren, Pandemie und Kriege die Fragilität der Versorgung mittels globaler Wirtschaftsketten von der Produktion zu den Endverbrauchern. Deren Folgen beschreibt der Autor zu Löwenstein unter dem Sammelbegriff „Nachernte-Verluste“. Verteilung von Lebensmitteln und Ursachen- statt Symptombekämpfung stehen im Fokus des Beitrags der Autorin Pruin. So sieht sie den Aufbau von produktiven, ökologischen, gerechten und widerstandsfähigen Ernährungssystemen als Ziel. Darauf baut Traidl-Hoffmann mit dem Thema „Gesundheit- und Wohlergehen“ auf. Sie beschreibt die Herausforderungen, die sich durch den Klimawandel auf das Leben bzw. auf den einzelnen Organismus ergeben für die Gesellschaft als Ganzes, aber insbesondere auch für jeden Einzelnen.
Veränderungsprozesse erfordern hochwertige Bildung. Esser konstatiert, dass Naturwissenschaften zu wenig Berücksichtigung finden, das Wissen um Natur und die Beschäftigung mit ihr als essenzielle Lebensgrundlage fehlen. Nachhaltige Bildung ist Ergebnis und Prozess zugleich. Die Autoren Rabanus und Smets heben hierzu die Bedeutung des Lebenslangen Lernens als Schlüssel zur Umsetzung der Agenda 2030 hervor. Das Ziel von Bildung für nachhaltige Entwicklung ist es, „die Lernenden dazu zu befähigen, die Auswirkungen des eigenen Handelns zu erkennen und eigenverantwortlich Entscheidungen treffen zu können“ (Rabanus & Smets 2023). Kultur bildet für die Veränderungsprozesse das Grundgerüst des gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Die Geschlechtergerechtigkeit betrachtet Schulz mit dem Fokus auf den Gender Pay Gap, von Miquel sieht Deutschland auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft und beschreibt den aktuellen Status quo. Wie die Entwicklung beschleunigt werden kann, ist eine ihrer Fragen.
Wasser ist der Quell unseres Lebens. Drei Kapitel befassen sich mit den Themen der Wasserverteilung bzw. Zugänglichkeit, Wasser als Konfliktpotenzial oder Quelle von Kooperation sowie „Sauberes Wasser! Für Mensch und Natur lebenswichtig“. Ein weiteres Machtinstrument stellt die zukünftige Energieversorgung dar. Die globalen Vernetzungen der Energieversorgung und ihre Abhängigkeiten werden in Krisenzeiten sichtbar. Sowohl die Versorgung aller als auch die Anforderungen an einen erneuten Strukturwandel erfordern eine gemeinsame Aktion über individuelle sowie regionale und staatliche Grenzen hinaus. Wie das gelingen kann und was hierzu erforderlich ist, beschreiben die Autoren Bleischwitz und Niebert.
Der Mensch steht im Fokus des achten Ziels „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“. Fahimi zeigt auf, was in den letzten Jahren erreicht wurde und wo noch eklatante Wunden in der Wertschöpfungskette klaffen, welche geschlossen werden müssen, um menschenwürdige Arbeit und sozial-ökologisches, nachhaltiges Wachstum für alle zu erreichen. Zimmermann beleuchtet hierzu die Kulturarbeit zwischen Traumjob und Prekariat.
Daran schließt sich die Betrachtung der Arbeit des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) im Hinblick auf die UN-Nachhaltigkeitsziele von Klös und Parthie an. Hierbei rücken Industrie, Innovation und Infrastruktur in den Blick, insbesondere das Verhältnis von Wachstum und Wohlstand. Miosga und Maschke thematisieren die Bedeutung ländlicher Räume für eine Nachhaltigkeitstransformation – auch wenn diese nicht explizit im Vergleich zu Städten genannt werden. So betreffen doch viele Nachhaltigkeitsziele ländliche und kommunale Strukturen, die in diesem Beitrag auf ländliche Räume heruntergebrochen werden.
„Weniger Ungleichheiten – Wie kann Ungleichheit in Deutschland verringert werden“ lautet der Titel des zehnten Kapitels, verfasst von Ulrich Schneider. Der Autor steigt mit einer Betrachtung des Begriffs „Ungleichheit“ ein und zeigt, dass dieser zu Unrecht negativ konnotiert wird. Er sieht Ungleichheit als Triebmotor für Entwicklung. „Grundvoraussetzung für ein solch positives Verständnis von Ungleichheit ist jedoch ihre Freiwilligkeit“ (Schneider 2023, 145). So basiert die gesellschaftstheoretische Brisanz der Ungleichheit auf der Verteilung von Ressourcen und Privilegien, welches sich im Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung widerspiegelt. Wie sehr das eigene Empfinden zum Zusammenhalt oder Nicht-Zusammenhalt beiträgt und welche Bedeutung dies für Kultur und Nachhaltigkeit hat, führt der Autor mit Blick auf Privilegien, Armut und daraus resultierenden gesellschaftspolitischen Positionen aus.
Für nachhaltige Städte und Gemeinden entwirft Tillman Prinz im elften Kapitel eine Baukultur der Verantwortung. Die Weichen hierfür werden nach ihm in den Handlungsfeldern bezahlbarer Wohnraum, ländlicher Raum und Umbau vor Neubau sowie Innenstadt gestellt. Hierbei kommt u.a. der Digitalisierung zur Wiedernutzung ländlicher Wohnräume eine besondere Rolle zu. Rainer Nagel ergänzt, dass es auch um das Aussehen der Städte gehe, weil sich das Aussehen direkt auf das Wohlfühlen auswirke. So sollen am Ende von Transformationsprozessen Städte schöner und menschlicher werden.
Im zwölften Kapitel stehen Konsum und Produktion im Mittelpunkt. Mara Michel nimmt hierfür die Mode in den Blick. Sie zeichnet eine kritische Standortbeschreibung zwischen dem Ziel der Nachhaltigkeit und der Schnelllebigkeit der Branche. Aber Michel zeigt auch Wege für die Modewelt zu mehr Nachhaltigkeit auf. Mit ihrem Beitrag pflichtet ihr Frederike Kintscher-Schmidt unter dem Motto „Weniger, haltbarer reparierbar“ zu. Sie legt den Fokus auf kleine individuelle Produktionen, die an den tatsächlichen Bedarf angepasst werden und fordert eine Abkehr von der Massenproduktion.
„Maßnahmen zum Klimaschutz hinsichtlich der Dringlichkeit und konsequentem Handeln“ lauten die begründeten Forderungen und beschriebenen Folgen im nächsten Kapitel. „Der Widerspruch zwischen Wissen und Handeln wird größer“ (Müller S. 184). Bandt nimmt auf verschiedenen Ebenen international wie national den Verkehrssektor und das Energiesystem in den Blick und beschreibt die vielen – auch kulturellen – „Baustellen“ bei dem Kampf gegen die Erderwärmung.
Eine weitere Herausforderung sieht Ziebarth in der Entwicklung und Umsetzung einer zukunftsfähigen Meerespolitik. Ihr in aller Kürze dargestellter Problemaufriss verdeutlicht, dass der Mensch sein Verhalten dringend ändern muss, weil die Meere, ihre Bewohner und die natürlichen Prozesse elementar für das Leben auf der Erde sind. Die Autorin skizziert die einzelnen Belastungen dieser Lebensgrundlage und fordert „Meeresschutz und nachhaltige Entwicklung gegenseitig zu verstärken“ (Ziebarth, S. 200).
So wie das Meer als eine Lebenssäule durch das menschliche Handeln belastet wird, so kann das Leben an Land als zweite Säule nur mittels einem nachhaltigem Naturschutz gesichert werden. Der Autor Weiger beschreibt gleich zu Anfang, dass der Natur als (menschlichen) Lebensraum die höchste Priorität im Naturschutz zusteht. Die Lebensqualität jedes Einzelnen hängt (un-)mittelbar von funktionierenden Ökoräumen ab. Jedoch sind eben diese nicht mehr in einem Gleichgewicht. Der Autor zeigt die Fehler der Landwirtschaft sowie der Landnutzung auf und stellt diesen die jahrzehntelangen Bemühungen des Naturschutzes gegenüber. Er schließt mit Vorschlägen, wie man die Krise mit vielen Brennpunkten jeweils angehen kann, ja muss.
Im fünfzehnten Kapitel geht Settele auf das Kunming-Montreal-Abkommen von 2022 ein. Er lenkt den Blick auf die abnehmende Biodiversität, die neben der Klimadebatte ein Mauerblümchendasein führt. Dabei sei sie „genauso gefährlich wie die Klimakrise“ (Settele S. 214). In seinem optimistischen Ausblick beschreibt er Stellschrauben und Optionen, die Biodiversität zu unterstützen.
Unter dem Titel „Recht für Nachhaltigkeit – Recht auf Nachhaltigkeit“ betrachtet Winands die Entwicklung der Gesetze für Nachhaltigkeit ausgehend vom Historischen Ursprung im Forstrecht bis zum europäischen und internationalen Nachhaltigkeitsrecht mit den jeweiligen Schwerpunkten. Bezogen auf die rechtliche Umsetzung fokussiert der Autor die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Winand deutet auf Passagen im Grundgesetz, die in Bezug zur Nachhaltigkeit stehen, auch, wenn diese dort nicht explizit genannt wird. Abschließend erörtert er die Frage, ob es ein Recht auf Nachhaltigkeit gibt.
Mit dem Begriff „Alleskönner-Phlegma“ beschreibt Bachmann die institutionellen Entwicklungen international und insbesondere auch national hinsichtlich der Nachhaltigkeitsziele. Welche Rolle Institutionen in diesem neuen institutionellen Ökosystem – ähnlich eine Nahrungskette – spielen, ist und bleibt eine offene Frage. Eine weitere Frage ist es, wie die Transformation zu nachhaltigem Handeln organisiert werden soll, um zu gelingen.
Welche (Kultur)Verantwortung trägt jede*r Einzelne in einer Gesellschaft und wie muss diese wirkungsvoll umgesetzt werden, um in Frieden zu leben. Zimmermann sieht in dem sechzehnten Nachhaltigkeitsziel die Zusammenführung der zuvor genannten Ziele als Aufgabe an. Er fordert die Abkehr vom Schubladendenken („Silodenken“) hin zu einer Überwindung dessen zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele. Der Autor beschreibt Inklusion als Aufgabe einer nachhaltigen Gesellschaft, die mit Flüchtlingen, Asylsuchenden und Arbeitskräften sowie demografischen Entwicklungen weiteren Herausforderungen gegenüber steht.
Hier schließt sich die Autorin Höppner mit ihrem Beitrag zur „Kulturellen Vielfalt und Nachhaltigkeit“ an. Sie stellt die Grundsätze und Kernaussagen der „Konvention Kulturelle Vielfalt“ vor. Des Weiteren betrachtet sie mit Blick auf nachhaltiges Handeln die (inter-)nationale kulturelle Arbeit auf mehreren Ebenen, wie Nachhaltigkeit als Inhalt, nachhaltiges Handeln einer Einrichtung und Vermittlung von Nachhaltigkeit.
Das Buch schließt mit dem siebzehnten Ziel „Partnerschaften zur Erreichung der Ziele“ und beschreibt die „vorgeschlagene Reformagenda zur Mobilisierung zusätzlicher Mittel für nachhaltige Entwicklung und eine strukturpolitische Transformation der internationalen Finanzarchitektur für mehr Gerechtigkeit und Teilhabe“ (Bornhorst, S. 252). Der Autor Bornhorst fragt „Wie kann Ungleichheit zwischen den Ländern, insbesondere Nord-Süd, verringert werden?“ Die Welt ist in einem Zustand der Dauerkrise, so Bornhorst. Er beschreibt die Folgen wie z.B. eine Zunahme von Ungleichheit, welche insbesondere Arme und Rechtlose trifft.
Fazit
Die Publikation bietet einen Forderungs- und Aufgabenkatalog entlang der 17 Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Diese Herausforderungen richten sich unter anderen an die Verantwortlichen und Akteure wie z.B. Lehrende in Einrichtungen der Kulturellen Bildung und Erwachsenenbildungseinrichtungen sowie an jede*n Einzelne*n. Jede Autorin, jeder Autor lenkt den Fokus auf eine wichtige Facette der Mammutaufgaben und regt Veränderungen an, zeigt Wege auf und macht deutlich, dass die Entwicklung und Transformation im Zusammenhang von Kultur und Nachhaltigkeit sowohl die Aufgabe jedes Einzelnen sowie der globalen Bevölkerung als Ganzes ist.