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Weniger wert mit „schlechter Bleibeperspektive"?
Unterscheidung nach Herkunftsland: ein absurdes Konstrukt
Ob ein/e Geflüchtete/r eine „gute“ oder dann „schlechte“ Bleibeperspektive hat, hängt vom Herkunftsland ab. Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gilt Folgendes: „Menschen, die aus Herkunftsländern mit einer Schutzquote von über 50 Prozent kommen, haben eine gute Bleibeperspektive. 2016 trifft dies auf die Herkunftsländer Eritrea, Irak, Iran, Syrien und Somalia zu. Welche Herkunftsländer das Kriterium Schutzquote (>/= 50 %) erfüllen, wird halbjährlich festgelegt.“.
Die Festlegung ist aber nicht immer transparent und eindeutig. Pro Asyl zeigt dies am Beispiel von Geflüchteten aus Afghanistan auf, deren Schutzquote im Jahr 2016 bei über 50 Prozent lag, kaum abgeschoben wurden und dennoch keine gute Bleibeperspektive erhielten. Wie problematisch das Verfahren aufgrund uneindeutiger und nicht immer schlüssig nachvollziehbarer Kriterien ist, zeigt die Situation von jemenitischen Geflüchteten. Diese wurden, trotz Erfüllung der Schutzquote von über 50 Prozent (2016) nicht zur Gruppe mit guter Bleibeperspektive gezählt, da insgesamt „zu wenig“ Menschen aus dem Jemen in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben. Das BAMF geht „nur dann von einer guten Bleibeperspektive aus, wenn es eine relevante Zahl von Antragsstellern aus einem Land gibt.“
Die Unterscheidung nach Herkunftsland klassifiziert Geflüchtete im Grunde in drei Gruppen:
- Asylbewerbende mit guter Bleibeperspektive,
- Asylbewerbende mit geringer Bleibeperspektive und
- Asylbewerbende aus sicheren Herkunftsstaaten (Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Mazedonien, Senegal, Serbien, Albanien, Kosovo und Montenegro), welche damit direkt als Geflüchtete mit schlechter Bleibeperspektive gelten.
Widerspruch zu Grundsätzen der Menschenrechte und des Asylsystems
Eine pauschale Unterscheidung nach Herkunftsland (und ermittelter Schutzquote) steht jedoch im Widerspruch zu den Menschenrechten. So heißt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ (Art. 1). Das heißt, dass jeder Mensch unabhängig von seiner nationalen Herkunft auf die gleichen Rechte und Freiheiten Anspruch hat. Zudem „darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebiets, dem eine Person angehört“ (Art. 2 Verbot der Diskriminierung).
Auch ist die pauschale Unterscheidung nach Herkunftsland nicht vereinbar mit dem Kern des Asylverfahrens: die individuelle Prüfung von Fluchtgründen. Erst die in der Anhörung geschilderten persönlichen Erlebnisse und die daraus folgende Einschätzung entscheiden über die Perspektive in Deutschland. In Anbetracht der Tatsache, dass auch abgelehnte Asylbewerbende oft in Deutschland bleiben, behindert diese ungleiche Behandlung schon vor Beendigung des Asylverfahrens zudem den Integrationsprozess und führt bei den Betroffenen zu Ausgrenzung und Frustration.
Die Auswirkungen treffen die Gesamtgesellschaft
Die Unterscheidung nach Herkunftsland hat auf mehreren Ebenen Konsequenzen. Zwei seien hier beispielsweise angeführt:
Auf Ebene der Betroffenen bedeutet die Einstufung als Geflüchtete/r mit „geringer/schlechter Bleibeperspektive“ während der gesamten Dauer des Asylverfahrens, dass sie keinen Zugang zu einem Integrationskurs, zu weiteren Fördermaßnahmen sowie zum Arbeitsmarkt erhalten. Daraus entstehen viele weitere Schwierigkeiten. Die Betroffenen haben für eine lange Zeit keine Perspektive und Möglichkeit, autonom ihr Leben aktiv zu gestalten, sind von Ämtern, Behörden und Fachkräften der Aufnahmeeinrichtungen abhängig und müssen viele Einschränkungen und Entbehrungen erdulden. Unterstützungsangebote von Ehrenamtlichen und karitativen Organisationen helfen, die Zeit zu überbrücken, bieten aber keinen Ersatz. Für die Betroffenen bedeutet dies eine hohe psychische Belastung, die nicht von allen ertragen wird und die sich negativ auf die vorhandene Motivation zur Integration auswirken kann. Wenn fast drei Viertel der Asylsuchenden in Deutschland bleiben, wird deutlich, dass dieses Problem auch für die Gesamtgesellschaft Auswirkungen haben kann.
Auf Ebene der Gesamtgesellschaft kann dieses Verfahren mit seinen negativen Folgen für die Betroffenen zu einem diskriminierenden Verhalten Anlass geben, bei dem die Folgen der Benachteiligung den Geflüchteten selbst zum Vorwurf gemacht werden, wie z.B.: „Nur Geflüchtete mit guter Bleibeperspektive sind motiviert und wollen sich integrieren, die anderen leisten nichts“, oder „So lang in Deutschland und kann immer noch kein richtiges Deutsch!“. Dass das Verfahren auf lange Sicht natürlich zu einer Minderung der Motivation führt und der Erwerb von Deutschkenntnissen massiv erschwert wird, bleibt gänzlich unreflektiert. Darüber hinaus erschwert dieses Verfahren die Teilhabe an und die Aufnahme in der Gesellschaft nachhaltig, da dies u.a. wesentlich von den Sprachkompetenzen abhängt. Die Regelung, dass Geflüchtete ohne gute Bleibeperspektive erst nach positiver Entscheidung im Asylverfahren einen Integrationskurs und Angebote zum Einstieg in den Arbeitsmarkt besuchen können und damit einen erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt haben, verhindert die gesellschaftliche Anerkennung und Akzeptanz und die Möglichkeit, selbst an der Integration aktiv mitzuwirken und diese zu gestalten.
Zugang zu Integrationskursen, gleich mit welcher Bleibeperspektive
Eine Unterscheidung nach Herkunftsland bringt somit negative Auswirkungen für die Betroffenen, für den Integrationsprozess und für die Gesellschaft insgesamt. Laute Kritik von Fachleuten und Organisationen wie Pro Asyl oder dem Paritätischen Wohlfahrtsverband bleiben bislang leider ungehört. Es gilt, mit den verfügbaren Mitteln und Möglichkeiten betroffene Geflüchtete zu unterstützen und auf eine Veränderung hinzuwirken. Aus diesem Grunde konzipiert und bietet das Bildungswerk des Erzbistums Köln e.V. flächendeckende Sprach- und Bildungsangebote besonders für Personen ohne gute Bleibeperspektive an und unterstützt Ehrenamtliche mit Qualifizierungsangeboten. Denn besonders Sprachkurse öffnen das Fenster zu einer unbekannten Kultur und Gesellschaft und bieten Orientierung und Halt im Asylverfahren.
Mit freundlicher Unterstützung durch das Bildungswerk der Erzdiözese Köln e.V.
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