Am 16. März 2017 beantwortete Prof. Hermann Funk, Universität Jena, Fragen, die im Vorfeld oder während des Webinars zum Wortschatztraining gestellt wurden. Die Fragen und Antworten haben wir für Sie zusammengefasst. Es ist sinnvoll, sich ergänzend die Videoserie zum Wortschatztraining anzusehen.
"Wortschatz zu vermitteln ist leichter als sich an Wortschatz zu erinnern. Haben Sie Tipps?"
Das Wichtigste: Man merkt sich keine Worte, die man „auf Vorrat“ lernt. Der Kontext, die Wortverbindung, ist von wesentlicher Bedeutung. Die Frage, ob das Lernen mehrerer Wörter zusammen nicht eine Überlastung sei, muss mit einem klaren „Nein“ beantwortet werden. Es geht immer darum, mehrere Wörter zu lernen. Beschäftigt man sich mit Sprache, stellt man fest, dass Wörter nicht isoliert sondern immer in einem Kontext stehen.
Fragt man Lernende, was ihnen Probleme macht, kommt oft heraus, dass es Worte sind, die „für die Konserve“ gelernt werden: Worte zu lernen, die erst in Zukunft gebraucht werden. Das muss man im Kurs berücksichtigen! Neue Worte sollen möglichst schnell in einem sinnvollen Zusammenhang verwendet werden.
Ein Beispiel dafür das Lernen von Wortverbindungen aus der ersten Deutschstunde: „Guten Tag“. Britta Winzer-Kiontke hat 2013 die Formelhaftigkeit von Wortverbindungen als Struktur von mindestens zwei voneinander getrennt geschriebenen Wörtern definiert, die eine Bedeutungseinheit bilden. Betrachtet man Texte mit dieser Brille, stellt man fest, dass sie aus einer Fülle von solchen Verbindungen – Formeln, Chunks, Wendungen, wie immer sie genannt werden – bestehen und Worte nur in der Kombination Sinn ergeben. Diese müssen auch gemeinsam gelernt werden. „Guten Tag“ wird – hoffentlich – auch nicht in die einzelnen Teile zerpflückt, die Worte extra gelernt, und der Akkusativ erklärt. Das braucht hier niemand. Und auch ein großer Teil der Grammatik wird über diese Verbindungen gelernt und nicht analytisch, einzeln.
"Sollten bei neuem Wortschatz auch gleich Wortverbindungen vermittelt werden? Zum Beispiel beim Verb "arbeiten" - Arbeitsamt, Arbeitsanzug, Arbeitsplatz etc. oder bei "bauen" - Bauarbeiter, Baumarkt, Baustelle, Bauer, Bauernhof etc. (…)"
Ein Missverständnis zum Thema Wortverbindungen soll ausgeräumt werden: Es gibt einen Unterschied zwischen Wortverbindungen und Wortfamilien. In der Frage oben werden Wortfamilien angesprochen. Das Lernen dieser ist nur bedingt sinnvoll, weil sie oft nur wenig miteinander zu tun haben. Wichtiger ist es, sinnvolle Wortverbindungen aufzubauen, wie etwa bei „bauen“: ein Haus bauen, als Bauarbeiter arbeiten (Verben mit Nomen verbinden). Von den Wortfamilien ist Funk nicht so überzeugt.
Wortverbindungen wie zum Beispiel Pfeffer und Salz, die zwar nicht der gleichen Wortfamilie entstammen, aber gemeinsam auf dem Tisch stehen, findet er sehr viel sinnvoller.
"Sie haben auf der DaFWEBKON gesagt, dass man die Berufssprache nur in der Kommunikation lernen kann. Haben Sie ein Beispiel? Ich versuche gerade, Arbeitsblätter zum Thema Arbeit in der Kfz-Werkstatt zu machen."
Bei der von Ihnen angesprochenen Kfz-Werkstatt geht es um Werkzeuge, Arbeitsprozesse und Rollen – das kann man auf einem Blatt ordnen. Aber nicht einzeln in einer Liste. Da würde sich noch eher anbieten, einen Kursteilnehmer einen Handyfilm vom Arbeitsplatz in der Werkstatt machen zu lassen, und Sie hängen davon einige Fotos auf und versehen diese mit den passenden Verb plus Nomen Verbindungen.
"Wie merkt man sich Artikel am besten, vielleicht mit Zuordnungsübungen?"
Weder Zuordnungsübungen noch Farbzuordnungen sind für das Erlernen von Artikeln sinnvoll. Farben sind keine guten Merkhilfen für Artikel. Es gibt auch kaum Untersuchungen, die die Farbzuordnung zu den Artikeln als lernerleichternd bestätigen würden.
Prof. Funk und sein Team favorisieren bei den von ihnen entwickelten Lehrwerken das episodische Gedächtnis zum Merken von Artikeln.
Jeder Artikel wird mit einem bestimmten Bild verbunden. Beispiel: DIE Tänzerin. Lernt man nun „die Gitarre“ stellt man sich eine Gitarre vor, die auf der Bühne liegt und eine Tänzerin stolpert darüber. Das stellt man sich möglichst detailliert vor. Episoden sind sehr löschungsresistent. Jeder von uns hat eine Vielzahl von solchen „Filmepisoden“ im Kopf. Ein kleines Experiment: Wen assoziieren sie mit der Frau, die mit einem weißen Kleid über einem U-Bahn-Schacht steht? Marilyn Monroe! Natürlich funktioniert diese episodische Methode nicht bei allen Begriffen. Bei abstrakten Begriffen wird es manchmal schwierig.
Auf den Einwand, dass die Assoziationen in unterschiedlichen Kulturkreisen nicht immer funktionieren, schlägt Funk vor, es den Lernenden selbst zu überlassen, eigene, passende Episoden zu finden.
"Soll man Wortschatzerklärungen in der Muttersprache geben?"
Hilft die Muttersprache beim Sprachenlernen? Ja und nein. Im Video Was bedeutet es ein Wort zu kennen? werden sieben Bereiche beschrieben, die für das Behalten eines Wortes von Bedeutung sind. Mit Muttersprache schafft man nur eine Verbindung. Das reicht nicht aus, um sich ein Wort dauerhaft zu merken Und Erklärungen in der Muttersprache helfen nicht dabei, in der neuen Sprache flüssig zu werden.
"Wenden Sie auch eine bestimmte Technik für Verben mit Präpositionen an? (…)"
Wichtig sind die Verbindungen zwischen Verben und Präpositionen und Nomen und Präpositionen. Damit öffnet sich das Thema für Inhalte. Lassen sie die Feinheiten weg und lernen Sie: „auf dem Platz – über die Straße – an der Kirche vorbei“ jeweils als ein Wort und die Präpositionen nicht getrennt.
Erika Diel weist in ihrem Buch „Grammatik lernen – alles für der Katz?“ mit über tausend Schülerarbeiten nach, dass im A1-Bereich Präpositionen überhaupt nicht beherrscht werden können. Die Lernenden können die Einsetzübungen korrekt ausfüllen, aber bei der freien Verwendung scheitern sie.
"Wenn man sich mit Lernen beschäftigt, sollte man sich auch mit der Frage des Vergessens beschäftigen? Warum und wie vergisst man?"
Folgende Theorien gibt es dazu:
- Spurenzerfallstheorie (Zerfallstheorie) -– man vergisst alles mit der Zeit.
Aus eigener Erfahrung weiß man aber, dass man besonders Eindrucksvolles im positiven wie im negativen Sinn nicht so leicht vergisst. Für das Lernen bedeutet das, wenn es emotional gut codiert ist, merkt man es sich auch. - Interferenztheorie – immer kommt was dazwischen
Diese Theorie besagt, dass es wichtig ist, Dinge auch mal sacken zu lassen oder Entspannungsphasen einzubauen. Gut erforscht ist, dass Lernen vor dem Einschlafen oder nach dem Aufwachen besonders effektiv ist. Auch ist erwiesen, dass man sich Informationen vom Anfang oder Ende einer Stunde leichter merkt als das, was in der Mitte der Lerneinheit vermittelt wird. - Misslingen des Abrufs – es fällt mir grad nicht ein
Typisches Kennzeichen dafür, dass der Text nicht in einem anderen Kontext gelernt wurde. Verbindungen sind wichtig, positiv konnotierte Bereiche. - Motiviertes Vergessen - das wollen wir aber schnell vergessen!
Was man in unangenehmem Kontext gelernt hat, vergisst man schneller.
Merken und Vergessen: wir können nicht kontrollieren.
"Als Voraussetzung für Lernerfolg werden in Ihrem Video "Lernintelligenz, gute Routine und Strategien" angesprochen. Wer kann das vorweisen, der gerade einmal drei bis sieben Jahre Schulbildung oder nur eine Koranschule absolviert hat (…)?"
Es ist von Bedeutung, das was der Lerner mitbringt, wertschätzend aufzunehmen. Was bedeutet „Lernen in einer Koranschule“? Eine große Fähigkeit, auswendig zu lernen! Die Neurowissenschaftler haben festgestellt, dass es kein höher- oder minderwertiges Lernen gibt. Mit bestimmten Strategien kann besser oder weniger gut gelernt werden. Deshalb sollte man diesen Lernenden ihre Fähigkeiten, in diesem Fall das Auswendiglernen, vor Augen halten und auch auf die Grenzen hinweisen. Menschen sind besonders erfolgreich, wenn sie traditionelle Lernformen mit Kreativem verbinden können.
"Kann man Grammatik über den Wortschatz lernen?"
Ein Beispiel sind die Modalverben. Die unsinnigste Form ist, sie alle auf einmal zu lernen – alle sieben. Das geht schief, die Studierenden verwechseln sie in der Folge alle untereinander. Besser ist es zu starten zum Beispiel mit Modalverben, die ohne Verb am Ende verwendet werden wie „Ich kann Deutsch, ich kann Englisch …“. Danach geht man über zu Gegensatzpaaren zum Beispiel „müssen - wollen“ oder anderen. Und es ist überhaupt nicht wichtig, diese Worte als Modalverben benennen zu können.
CC BY SA 3.0 DE – zusammengefasst von Angelika Güttl-Strahlhofer für wb-web.de