Lars Kilian Blog

Fest, flüssig, überflüssig? Wissen und Bildung im Zeitalter Künstlicher Intelligenz

Bild mit Teebeutel mit Aufdruck "Dein Wissen ist deine Stärke"

Bild: Lars Kilian (CC BY-SA 3.0 DE)

Mit der Vorstellung von ChatGPT Ende 2022 wurde die Diskussion um Künstliche Intelligenz neu befeuert. Welche Auswirkungen haben derartige Systeme auf die Menschen und die Gesellschaft? Und was bedeutet des für das Bildungswesen? Wird es überflüssig, sich Lern- und Bildungsbemühungen auszusetzen, wenn zukünftig KI meine Fragen beantwortet und Probleme löst? Beginnt nun die Industrialisierung der Wissensarbeit, so wie einst die Dampfmaschinen die „Muskelarbeit“ der Arbeitenden übernahmen?

KI – Der Anfang vom Ende?

„Dein Wissen ist Deine Stärke“, macht mir der Zettel an meinem Teebeutel im Büro am Morgen Mut. Aber welche Rolle spielt mein Wissen noch und welche Rolle wird es spielen? Wird es zukünftig noch notwendig sein, zu wissen? Aber dazu später mehr.

Nun sind einige Monate vergangen, seit ChatGPT veröffentlicht wurde und für einigen Wirbel sorgte. Relativ schnell wurden allerorts Sorgen und Befürchtungen geäußert, wie die Bedrohung des menschlichen Bewusstseins und der Demokratie  (vgl.  t3n), die Verbreitung von Fake-News, der Verlust von Arbeitsplätzen oder gar der menschlichen Domäne ‚Intelligenz‘.  So betitelte der BR-Chefredakteur Christian Nitsche einen Kommentar mit „Machtübernahme durch künstliche Intelligenz?“  (BR-Nachrichten) und beginnt den Kommentar bildhaft: „Künstliche Intelligenz ist ein Katapult in der Evolution. Wir spannen gerade die Seile. Und setzen uns selbst hinein.“ Das stimmt nicht gerade heiter. Gaukelte mir meine eigene mediale Filterblase in den letzten Wochen vor, dass vor allem Pessimismus oder zumindest Vorsicht geboten ist, um die Dystopien nicht wahr werden zu lassen? 

KI – Der Bildungsbereich ist betroffen

Auch der Bildungsbereich reagierte auf die jüngeren Entwicklungen. Beispiel: Das AusbaldowerCamp. Es hatte trotz kürzester Planungszeit eine herausragende Resonanz: um die 1000 Teilgebende trafen sich in circa 90 Sessions, um über das „Lernen mit KI“ zu sprechen. Die Themen zeigen, womit sich Lehrende aktuell beschäftigen:

  • der „Umgang mit Hausaufgaben zur Unterstützung des Lernens“ (Dokumentation) oder der „Abschied vom Aufsatzunterricht“ (Dokumentation) zeigen mögliche Umbrüche bei der bisherigen Gestaltung der Lehre
  • Methodische Möglichkeiten des Einsatzes von KI wurden ausgelotet wie das „Literarische Schreiben mit KI Unterstützung“ (Dokumentation) oder die „KI-Schreibtools in der Schreibdidaktik“ (Dokumentation)
  • Möglichkeiten der Unterstützung des Lernprozesses mit Hilfe von KI ausprobiert, wie die „10 Methoden ChatGPT sinnvoll in selbstgesteuerte Lernprozesse einzubinden“ (Dokumentation)
  • und nicht zuletzt kamen auch existenzielle Fragen zur Sprache wie die nach der „Künstlichen Intelligenz als Lehrer*in! Was kann die Maschine besser – und was bleibt für die menschliche Lehrkraft“ (Dokumentation)

Zumindest die Auseinandersetzung mit KI durch Lehrende in Austausch- und Lernorten wie auf dem AusbaldowerCamp zeigten mir, dass neben den kritischen Fragen auch die Potenziale von KI für die Gestaltung von Lehre thematisiert wurden. Das erscheint professioneller, weil reflektiert. Denn was ist KI, wenn nicht ein Werkzeug, welches genutzt werden kann. Verweisen möchte ich an die Anfänge des Internets oder auch die Erfindung des Autos, als die heutigen Möglichkeiten (und Herausforderungen) nicht absehbar waren.

KI – Alte Gefahren im neuen Gewand?

Gleichwohl frage ich mich, was denn so erschreckend neu ist an der KI, wie sie bei ChatGPT nun von jeder und jedem genutzt werden kann. Ja, es wird zu Disruptionen kommen. Exemplarisch drei von mir in den letzten Tagen immer wieder gefundene Befürchtungen an dieser Stelle: 

  • Erste Befürchtung: Menschen werden Jobs verlieren. Das ist nicht neu und gab es immer wieder bei technischen Entwicklungen. Dies zeigt sich aktuell z.B. in der Automobilindustrie, die beim Wechsel auf E-Mobilität einerseits Jobs freisetzt, andererseits neue Arbeitskräfte sucht (vgl. Wirtschaftswoche) und darüber hinaus entsprechenden Weiterbildungsbedarf nach sich zieht.
  • Zweite Befürchtung: KI wie ChatGPT erzeugt glaubwürdige Fake-News. Auch dies ist nichts Neues. Mit Fake-News wurden schon lange vor dem Internet Kriege begonnen oder falsche Weltbilder geprägt. Auch hier hilft Bildung und Wissen, diesem zu begegnen.
  • Dritte Befürchtung: Pädagogische Settings wie z.B. bestimmte Aufgabentypen funktionieren nicht mehr und Lernen wird umgangen. Auch hier sehe ich nichts Neues. Diese Diskussionen wurden unter anderem auch schon mit der Etablierung des Internets geführt (vgl. Spiegel 2004), als Informationen frei verfügbar im Netz standen und sehr einfach kopiert und in eigene Arbeiten eingefügt werden konnten. Dies ist kein alleiniges Problem für Lehrende und auch nicht des Internets. Auch bei wissenschaftlichen Arbeiten war und ist dies zu beobachten (Stichwort: Plagiate). Dank der neuen Technologien wird es jedoch leichter, generalisierbare Aufgaben zu lösen. Lösungen werden schon lange diskutiert: die Individualisierung von Aufgaben, fachübergreifende Lernprojekte oder kompetenzorientierte Lehr- und Prüfungsformate, um nur einige Punkte zu nennen. Diese erschweren nicht nur die Copy & Paste-Arbeit durch Individualisierung der Lernprozesse und -ergebnisse, sondern führen darüber hinaus auch zu echten Lernangeboten und -anlässen. Dabei können Lernende durchaus auf bestehende Informationsangebote aus dem Netz (aber auch Bibliotheken oder von Mitlernenden) zurückgreifen und diese nutzen, um den eigenen Lernprozess erfolgreich zu gestalten. Defensives Lernen (vgl. Holzkamp) kann so vermieden werden.

Fünf Gründe, warum Wissen und Bildung ihre Bedeutung behalten werden

Dennoch und noch einmal: Welche Rolle spielt mein Wissen noch und welche Rolle wird es spielen? Wird es zukünftig noch notwendig sein, zu wissen?  Und wird KI Bildung im Allgemeinen oder Erwachsenenbildung im Besonderen obsolet werden lassen?

Ich denke, dies wird nicht der Fall sein. Dafür möchte ich einige Gründe ins Feld führen.

  1. Um Informationen bewerten zu können, sind Informationskompetenzen nötig. Das galt schon vor KI-generierten Texten, denn auch die bisherigen Medien sind nicht frei von Fehlern. Sie liefern Informationen, deren Qualität nicht immer klar ist und die gefiltert wurden von Autor*innen oder bestimmt werden von Interessen der diese Informationen verbreitenden Medien. Man kann hier auf professionelle Standards von Berufsgruppen wie Wissenschaftler*innenn, Journalist*innen, Redakteur*innen etc. verweisen, aber wir wissen, dass es immer wieder zu Falschmeldungen kommt oder zumindest polarisiert dargestellt wird, um die eigene Zielgruppe zu bedienen. Da seit der Web2.0 Entwicklung potenziell jede und jeder auch eigene Nachrichten im Netz publizieren kann, auch KI-genierierte, ist es umso wichtiger, das wir Informationskompetenzen erwerben und an die stets neuen Gegebenheiten anpassen und erweitern. Ein klarer Auftrag an die Erwachsenenbildung, denn der Erwerb und Ausbau von Wissen zur Entwicklung dieser Kompetenz bleibt ein lebenslanger Prozess, der zunehmend an Bedeutung gewinnt.
  2. Wir benötigen Wissen über die Medien und deren Funktionsweise. Nicht nur, dass wir einer zunehmenden Pluralität von Medien ausgesetzt sind, auch die dahinter stehenden Machtsysteme oder auch Algorithmen müssen verstanden und durchdrungen werden. Dazu ist einerseits Transparenz über diese Systeme und Techniken nötig. Aber es bedarf auch Medienkompetenzen. Sie zu entwickeln und auszubauen ist ein weiteres Feld, dem sich die Erwachsenenbildung nicht verschließen kann und darf, will sie gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Nur wenn wir wissen, welche Medien es gibt, wie sie zu bedienen sind, wie sie funktionieren und wo ihre Begrenzungen liegen, können wir mit diesen adäquat umgehen und die über sie transportierten Informationen bewerten. Ebenso sind davon Fragen tangiert, welche Daten wir wo preisgeben – also das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die ständigen Entwicklungen machen auch hier ein lebenslanges Lernen unersetzlich.
  3. Natürlich bedarf es auch einer fachinhaltlichen Auseinandersetzung mit neuen Technologien. Der Programmierunterricht der 80er Jahre, der Computerführerschein etc. zeigen, dass dies auch in der Vergangenheit so war. Neue Entwicklungen im Bereich der KI bieten Potenziale für neue Beschäftigungsfelder – vorausgesetzt, man ist kompetent, diese zu nutzen. Die hierin steckenden Chancen und Herausforderungen für die Erwachsenen- und insbesondere berufliche Weiterbildung sind noch gar nicht ausgelotet. Aber klar ist, dass allgemeinbildende Schulen auf die raschen Entwicklungen strukturell gar nicht zeitnah reagieren können. Bildungseinrichtungen und Trainer*innen sind hier nicht nur in der Pflicht, sondern finden auch neue Lehrinhalte, um Fachwissen und -kompetenzen bei Teilnehmenden zu entwickeln.
  4. Erwachsenenbildung, nimmt sie ihre Rolle wahr, hat weiterhin die Chance, den gesellschaftlichen Diskurs zum Umgang mit neuen Technologien anzuregen und diesen als öffentliche Debatte mit zu begleiten. Wir brauchen Verständigungsprozesse über den Umgang mit technischen Innovationen als Individuen in der Gesellschaft. Dieser sollte nicht einseitig getrieben werden, weder von technikgläubigen noch von technikfeindlichen Protagonisten. Der Politischen Erwachsenenbildung kommt hier eine wichtige Funktion zu, diesen Diskurs aufzugreifen und mitzugestalten! Dabei sehe ich die Politische Erwachsenenbildung als ein Querschnittsthema, welches angebotsübergreifend in formalen Bildungsangeboten zum Tragen kommt.
  5. Sollten die (Weiter-)Entwicklungen von KI (und auch andere technische Innovationen) tatsächlich mittelfristig dazu führen, dass diese uns mehr Freizeit bescheren, indem Arbeiten übernommen werden, stellt sich die Frage, was mit der neu gewonnen Freiheit/Freizeit gemacht wird. Und auch hier sind mannigfaltige Lernprozesse möglich, nein nötig. Wir könnten uns nicht nur, wie in Punkt 3 beschrieben, beruflich in unser Fach vertiefen und Expertise ausbauen, sondern uns auch im gemeinsamen Austausch – einem Lernprozess – Wissen und Kompetenzen über weitere Dinge aneignen. Hier denke ich nicht nur an schöngeistige Inhalte wie den Literatur- oder Zeichenkurs, sondern ganz konkret an Inhalte wie die Gestaltung des demokratischen Diskurses (vgl. Punkt 4) oder die Auseinandersatzung mit Fragen zur nachhaltigen Entwicklung, die mindestens genauso essentiell für die Gestaltung des Lebens oder gar Überlebens sind. Ich würde dies mit der Entwicklung erweiterter Wertesysteme in unserer Gesellschaft umschreiben.

Fazit

Mit den hier exemplarisch skizzierten Punkten, die sicher nicht vollständig sind, wollte ich zeigen, dass Lernen, verstanden als die kritische und reflektierte Aneignung von Wissen und den Aufbau von Kompetenzen sowie Bildung zukünftig nicht an Bedeutung verlieren. Die Aufgaben der Erwachsenen- und Weiterbildung werden sich im Kontext lebenslangen Lernens wandeln und auch Lehr-Lern-Settings werden sich diesem Wandel anpassen müssen. Die Verfügbarkeit kontextualisierter Informationen nimmt zu, was an sich als positiv zu bewerten ist. Lehrende können diese nutzen, um beispielsweise Informationen für Lernangebote aufzubereiten oder Arbeitsergebnisse prüfen zu lassen. Lernende können diese für die eigenen Lernprojekte nutzen, wenngleich sie – wie alle Informationen – kritisch geprüft werden, wozu wiederum Wissen und Kompetenzen notwendig sind. Widersprechen möchte ich jedoch einem Gedanken, den bereits zitierter Christian Nitsche seinem Kommentar beifügte: „Lernfähigkeit war der evolutive Vorteil des Menschen. Jetzt lassen wir Computer für uns lernen.“ (BR-Nachrichten). Lernen bleibt eine lebensnotwendige Aufgabe der Menschen, Bildung der gesellschaftliche Auftrag. Nur so können wir die Zukunft so gestalten, wie wir es wünschen und an ihr teilhaben. KI sollte dabei nicht als Feind angesehen werden, sondern sie kann uns als Werkzeug in vielfältiger Weise unterstützen. So wie es die Teilgebenden auf dem AusbaldowerCamp zum Thema ‚KI und Lernen‘ vormachten: Kritisch hinterfragen, skeptisch bleiben aber auch Chancen und Möglichkeiten ausloten und nutzen.

So schließe ich diesen Beitrag mit einem weiteren Spruch von einem Teebeutel, den ich wenig später genoss und ein passendes Credo sein könnte: „Lebe Dein vollständiges Potential.“ 

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Teebeutel mit Aufdruck: "Lebe dein vollständiges Potential"

Bild: Lars Kilian, CC BY-SA 3.0 DE

CC BY-SA 3.0 DE by Lars Kilian für wb-web (2023)


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