Thorsten Stockner legte am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz seine Masterarbeit vor. In dieser beschäftigt er sich mit dem Schutz der Privatheit als aktueller Herausforderung der Erwachsenen- und Weiterbildung. Sein Ziel war es "zu einem grundlegenden Verständnis von Datenschutz für die Erwachsenenbildung beizutragen, vor allem aber die große Bedeutung und Notwendigkeit einer kritischen Reflexion von Datenverarbeitungsprozessen aufzuzeigen und zu begründen", wie es im Vorwort heißt.
So beschäftigt sich die Arbeit mit dem Begriff der Privatsphäre und zeigt die Bedeutung von Daten im Informationszeitalter auf, um dann den Datenschutz genauer zu beleuchten. Neben diesen vorangehenden Betrachtungen machen die Implikation für die Erwachsenenbildung die Arbeit interessant. Hier zeigt Stockner regulatorische und pädagogische Maßnahmen, technische Hilfsmittel oder auch die Kompetenzentwicklung bei Lernenden als Auswege an.
Die Arbeit stellt der Autor für Interessierte auf wb-web (rechte Seite) kostenfrei zum Download zur Verfügung. Der nachfolgende Blogbeitrag von Thorsten Stockner gibt einen Einblick in die Problematik.
Einführung
In einer ökonomisch motivierten Datengesellschaft (Müller, 2020, S. 29) sind Daten das neue Öl und Datenschutz der neue Umweltschutz (Schneier, 2016, S. 238). Während die Bedeutung von Alltagshandeln für den Schutz der Umwelt längst Einzug ins kollektive Bewusstsein von Konsumenten und Konsumentinnen gehalten hat, ist das Bewusstsein für das tägliche Handeln um eigene Daten und die eigene Privatsphäre zu schützen noch sehr gering ausgeprägt.
Problemlage
Unter dem Stichwort „Datenschutz“ wird unter Erwachsenenbildenden zumeist der Schutz von Daten anderer gemeint. Ob Telefonnummern, Wohnadressen oder die Klarnamen von Teilnehmenden von Weiterbildungsmaßnahmen. Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hat ihren Beitrag dazu geleistet, persönliche Daten von Teilnehmenden vor neugierigen Blicken Dritter aus Angst vor datenschutzrechtlichen Vergehen zu schützen.
Allerdings verwehren sich die Daten, die bei der täglichen Nutzung von elektronischen Endgeräten entstehen, oft dem kritischen Blick von Tätigen in der Erwachsenenbildung. Pandemiebedingt sahen sich viele Erwachsenenbildende gezwungen, ihr professionelles Handeln zu einem großen Teil in der digital repräsentierten Wirklichkeit auszuüben. Dies geschah unter Zuhilfenahme von technologischen Hilfsmitteln und webbasierten Anwendungen, jedoch „zum Teil unter grob fahrlässiger Nichtbeachtung jeglicher datenschutzrechtlicher Warnhinweise und unter Suspendierung oder zumindest situationselastischer Anpassung pädagogisch-ethischer Erwägungen“ (Hug & Madritsch, 2020, S. 19).
Jedes elektronische Endgerät und jede webbasierte Anwendung sammelt im eingeschalteten Zustand Daten über die Nutzenden. Ein Doppelklick auf das Browser-Icon, eine schnelle Suchanfrage, der kurze Besuch einer Webseite – schon ist es geschehen: Informationen über unser verwendetes Endgerät, unseren Standort, Zeitzone, Internetanbieter, die Verweildauer auf der jeweiligen Internetseite u.v.m. wurden erhoben und auf einem Server gespeichert. All dies sind Nutzungsdaten, die der Kategorie nicht-personenbezogen zuzuschreiben sind und somit nicht der DSGVO unterliegen. Denn diese beschäftigt sich ausschließlich mit dem Schutz von personenbezogenen Daten. Sie verschließt ihr schützendes Auge vor sogenannten Metadaten. Das sind Daten über Daten.
Ein Beispiel zur Veranschaulichung von Metadaten
Während der Inhalt einer via WhatsApp versendeten Nachricht zwar Ende-zu-Ende-verschlüsselt ist, d.h. lediglich auf dem Endgerät des Senders und des Empfängers entschlüsselt und somit lesbar ist, sind die Informationen wer an wen sendet, zu welcher Uhrzeit, wann die Nachricht empfangen und gelesen wird, wie oft am Tag Nachrichten ausgetauscht werden, in welcher Form (Bild, Ton, Text), etc. nicht verschlüsselt. Sie sind Metadaten. Sie beschreiben andere Daten, in diesem Beispiel die verschlüsselte Nachricht, ohne dabei den Inhalt preiszugeben. Ein „Mitlesen“ von Inhalten oder ist unmöglich. Damit sieht die Rechtslegung der DSGVO diese Daten nicht als personenbezogene Daten. Allerdings ist dies heutzutage nicht mehr nötig. Mithilfe von riesigen Datenmengen (Big Data) und automatisierten Prozessen der Datenverarbeitung werden die erhobenen Daten genutzt, um detaillierte Rückschlüsse auf die Nutzer zu gewinnen.
Die großen Hegemomen und ihre Informationsmacht
Bekannte Datenkraken sind Google, Facebook, Amazon, Microsoft und Co. Es gibt kaum noch ein kommerzielles Unternehmen, welches seine kostenlose Anwendung im Internet anbietet, ohne dabei die Nutzenden zum Produkt zu machen. Es sind die Nutzerdaten, mit denen sich Geld verdienen lässt. Im Sinne der Ölmetapher werden Daten dazu verwendet, um sie zu Informationen zu verarbeiten, die zur Profitsteigerung beitragen. Somit sind es wir selbst, die wir oftmals freiwillig, im Tausch gegen eine kostenlose Dienstleistung Daten an die Hegemonen weitergeben, welche dadurch eine enorme Informationsmacht erlangen.
Informationsmacht beschreibt die Fähigkeit, Handlungen so zu beeinflussen, „dass diese nicht mehr allein durch die von einer Person selbst gewählten Präferenzen bestimmt, sind“ (Müller, 2020, S. 81). Durch automatisierte Prozesse der Datenverarbeitung wird menschliches Verhalten prognostiziert und für wirtschaftliche Zwecke beeinflusst. Unter dem Vorwand, Nutzenden ein optimales Nutzungserlebnis bereitzustellen, werden Daten gesammelt, die in Kombination mit anderen Daten und Metadaten Auskünfte über soziale Beziehungen, Gewohnheiten, Interessen, Vorlieben usw. ermöglichen. Die Aushöhlung der Privatsphäre ist dabei nur mehr eine Begleiterscheinung, die vielen Nutzenden lediglich ein Achselzucken wert ist, denn „sie haben ja nichts zu verstecken“. Doch haben sie viel zu verlieren.
Vom gezielten Einfluss auf Wahlergebnisse (BREXIT-Referendum, US-amerikanische Präsidentschaftswahl 2016) bis hin zur gezielten Vorhersage von menschlichen Verhalten: Daten sind Macht.
Lassen Sie mich raten: Sie verwenden in diesen Moment den Browser Chrome von Google und standardmäßig die gleichnamige Suchmaschine ebenfalls von Google? Womöglich haben sie auch eine Gmail Adresse wiederum von Google?
Zwei praxistaugliche Tools für Erwachsenenbildende
Um Nutzende die Funktionsweise neuer datengestützter Technologien und die Bedeutung von Datenschutz näherzubringen eignet sich die vom Deutschen Bundesministerium für Bildung Forschung (BMBF) geförderte Applikation „Stadt, Land, Datenfluss“. Sie verknüpft die treibenden Technologien der Digitalisierung mit dem Lebensalltag der Nutzenden und vermittelt auf spielerische Weise den verantwortungsbewussten Umgang mit Daten.
Eine weitere Ressource für die Vermittlung von Datenkompetenz ist das Daten-Detox-Kit. Das Kit vermittelt auf seiner interaktiven Webseite alltägliche Schritte, um die Privatheit, Sicherheit und das Wohlbefinden von Nutzenden in der digitalen Welt zu kontrollieren. Weiters bietet es Arbeitsmaterialien für Erwachsenenbildende an, um Datenkompetenz in die Lehre zu integrieren.
Ausblick
Erwachsenenbildner und Erwachsenenbildnerinnen haben eine Vorbildwirkung.
„Die vorgelebte und zu ähnlichem Handeln auffordernde Praxis bei der Nutzung digitaler Medientechnologien ist notwendig, um Handlungsalternativen zur zwar kritischen, aber doch resignierten Nutzung datensammelnder oder teurer populärer Software zu testen und umzusetzen. Es bedarf reflektierter Entscheidungen darüber, ob in Veranstaltungen über Datenschutz unhinterfragt datensammelnde Technologien wie z.B. Googles Suchmaschine genutzt wird“ (Gapski, 2015, S. 26).
Des Weiteren ist es in meinen Augen Aufgabe der Erwachsenenbildung, über die gesamtgesellschaftlichen Folgen von Informationsmacht aufzuklären. Meta (ehemals Facebook), Alphabet (Mutterkonzern von Google), Amazon, Microsoft, und Apple haben bald alle eine Marktkapitalisierung von über einer Billion US-Dollar. Das, was diese Unternehmen maßgeblich zu ihrem Wert und ihrer Macht verhilft, ist das neue Öl im 21. Jahrhundert. Im Gegensatz zum fossilen Brennstoff, der als natürliche Ressource beknappt ist, sind Daten unbegrenzt. Somit sind auch die Möglichkeiten von oben aufgezählten Unternehmen unsere Daten zu erheben, endlos.
Regulatorische Maßnahmen allein bieten keinen ausreichend Schutz für Menschen und ihre Daten. Sie können nicht verhindern, dass Daten verarbeitet werden, die als „nicht personenbezogen“ eingestuft werden.
Aus diesem Grund kann nur eine Kombination aus regulatorischen und pädagogischen Maßnahmen dazu beitragen, der breiten Bevölkerung die ungebrochene Bedeutung von Datenschutz und Privatheit näherzubringen.
Es ist Zeit den Hegemonen ihre Macht zu nehmen, Handlungsalternativen zu erforschen, Alternativprodukte anzuwenden und die Nutzenden vermehrt über Datenschutz aufzuklären. Durch Aufklärung und den Einzug von Datenkompetenz in Institutionen der Erwachsenenbildung als auch in die eigenen vier Wände können Datenkraken in die Schranken gewiesen werden.