In diesem Gastbeitrag reflektiert der externe Autor Benjamin Eidam vom Digitalen Institut Chancen und Herausforderungen von Chatbos und KI im Bildungsbereich aus seinem Erfahrungsschatz. Dabei geht er auf Chancen und Risiken ein, die im Umgang mit diesen auftreten können. Zu den Chancen zählen: die Personalisierung von Lernprozessen, die Effizienzsteigerung und/oder die mögliche Steigerung des Lernerfolgs, während unter anderem Datenschutz, Mangel an sozialer Interaktion und ethische Fragen Herausforderungen darstellen.
Schauen wir uns die vorgebrachten Argumente nun ausführlich an:
Technologie hat schon immer die Art und Weise verändert, wie wir Dinge tun, wahrnehmen und erschaffen. Einzig die Geschwindigkeit und Intensität der technologischen Entwicklungen sind in den letzten Jahrzehnten derart explodiert, dass es immer schwerer wird, diesen noch zu folgen. Zunehmend auch für Experten im Feld.
Auch der Bildungsbereich ist dabei keine Ausnahme. Doch da der Bildungsbereich der Teil ist, in welchem die Fundamente für die anderen Systeme unserer Gesellschaft gelegt werden, ist dieser von besonderer Bedeutung für die erfolgreiche Wertstiftung der Bevölkerung.
Daher ist es meines Erachtens nach essentiell, Entwicklungen in diesem Bereich möglichst schnell und umfassend einzuordnen, auszuprobieren und einzusetzen. Beispielsweise befinden sich Angebote aus den Bereichen Augmented und Virtual Reality bereits länger in verschiedenen Testphasen.
In den letzten Jahren entwickeln sich vor allem Künstliche Intelligenz (KI) im Allgemeinen und Chatbots wie das aktuell viel beachtete ChatGPT im Speziellen zu einem immer wichtigeren Teil des Werkzeugkastens in der Bildung. Diese KI-Fortschritte bieten große Chancen, aber auch nicht zu unterschätzende Herausforderungen für Lehrende und Lernende. In diesem Artikel gebe ich stellvertretend für unseren Lehransatz im Digitalen Institut einen Überblick über die Chancen und Herausforderungen von Chatbots und KI.
Betrachten wir beide Seiten der Medaille und beginnen mit den Vorteilen, den Chancen von Chatbots und KI im Bildungsbereich:
Chancen und neue Möglichkeiten durch generative Tools
1. Personalisierung des Lernens:
Die Verwendung von Chatbots und KI im Bildungsbereich ermöglicht es, den Lernprozess zu personalisieren und damit zu individualisieren, je länger Lernende mit den KI-Werkzeugen arbeiten. Diese Künstlichen Intelligenzen lernen damit den Stil der Lernenden kennen und darauf zu reagieren. Chatbots können den Lernenden individuelle Aufgaben zuweisen und ihre Leistung bewerten, um den Fortschritt zu verfolgen und personalisierte Rückmeldungen zu geben.
Beispiele dafür sind Khanmigo der Khan Academy und Duolingo Max.
2. Effizienz und Kosteneinsparung:
Chatbots und KI-Systeme können den Prozess des Lehrens zumindest in Teilen automatisieren und effizienter gestalten. Lehrende können somit kostbare Zeit und Ressourcen auf andere Aufgaben konzentrieren, und es können Kosten eingespart werden, da der Bedarf an Lehrpersonal reduziert wird, wie die Kurskorrektur eines großen Anbieters von Bildungsmaterialien in den USAeindrucksvoll zeigt.
Denn was zeigt den Erfolg individualisierter KI besser als die massive Abwahl etablierter Alternativen, sobald diese auf ebensolche KI treffen? Wie eben konkret beim wellenartigen Wechsel vom Bildungsanbieter Chegg zur künstlichen Intelligenz ChatGPT bereits geschehen. Klassische durch neue Bildung ersetzt mit einem De-Abonnement.
Vor allem beim “Learning by Doing” wird dies besonders deutlich: Da man gemeinsam mit generativen Werkzeugen in einem Bruchteil der Zeit die gleichen oder bessere Lernergebnisse erzielen kann, steigt auch der Lerneffekt. Generative oder auch Co-generative Werkzeuge sind dabei KI-Systeme, die gemeinsam mit dem Anwender Ergebnisse erschaffen. Anstatt nur die Entscheidung des Anwenders in andere Form zu bringen, wie nicht-intelligente Werkzeuge. (Gemeinsam erstellter Programmcode vs. Informationen → Tabellen zum Beispiel)
“Roadblocks”, bei denen man ein Problem nicht lösen kann, ohne aus dem Momentum zu fallen, werden seltener. Und man kann schneller Ergebnisse entlang des gesamten Lernprozesses, vom Start bis zum finalen Ergebnis, diskutieren.
Das kann Lehrkräfte entlasten und ihnen Zeit für andere pädagogische Aufgaben geben, da die Lernenden so ohne nachhaltige Unterbrechung länger entlang ihrer eigenen, natürlichen Neugier lernen können, was angesichts aktueller Entwicklungen auch notwendig wird.
3. Zugänglichkeit
Chatbots und KI-Systeme können Menschen mit Einschränkungen den Zugang zu Bildungsmöglichkeiten bereitstellen, die ihnen sonst nicht zur Verfügung stünden. Die Technologie kann auch eine Alternative für diejenigen sein, die nicht in der Lage sind, persönlich am Unterricht teilzunehmen. So können Medien automatisch von einem Format in ein anderes übersetzt werden, zum Beispiel vom Bild in einem (gesprochenen) Beschreibungstext.
Chatbots und KI können sich automatisch und mit individuell maßgeschneiderter Geschwindigkeit auf die Anforderungen des Lernenden anpassen. Diese Art “technologiebasierter Teilhabe” kann helfen, viele Ziele in Richtung inklusiver Gesellschaft (leichter) zu erreichen.
4. Schnelle Reaktionszeiten
Chatbots können schnelle Rückmeldungen und Unterstützung bieten, wenn Lehrende nicht oder nur zeitverzögert verfügbar sind. Dies ist besonders nützlich für Lernende, die eine schnelle Antwort benötigen, um Ihren Lernprozess fortzusetzen. Ein leicht reproduzierbares und eingängiges Beispiel von vielen ist das der direkten Feedbackschleifen:
“Ein Gymnasiallehrer erzählte mir, dass er ChatGPT zur Bewertung einiger Arbeiten seiner Lernenden verwendet hat und dass die App in einem winzigen Bruchteil der Zeit ein detaillierteres und nützlicheres Feedback zu den Arbeiten gegeben hat, als er es selbst getan hätte.” - Quelle (Eigene Übersetzung)
Aber auch Lösungen wie die instantane, parallele Antwort auf Folgefragen zum behandelten Stoff können so neben dem Unterricht beantwortet, anstatt aufgeschoben oder vergessen zu werden. Also zum Beispiel indem der Lernende während die Antwort auf Frage 1 von ChatGPT geschrieben wird, bereits die Fragen 2, 3 etc. niederschreiben und direkt im Anschluss ausführen lassen. So bleiben sie länger neugierig, weil sie ununterbrochen Fortschritte sehen, können schneller funktionierende Ergebnisse erzielen, z.B. mit eigenem Programmcode und sich schneller Ihrem individuellen Fokus widmen, da sie diesen so schneller freilegen. So werden Momente minimiert, welche den Flow-Prozess des reibungslosen Lernens ggf. unterbrechen und mühsam machen können.
5. Verbesserung des Lernerfolgs
KI-Systeme und Chatbots können den Lernprozess durch die Überwachung und Analyse von Lernendendaten verbessern. Die Technologie kann beispielsweise Lernprobleme erkennen und Empfehlungen für individuelle Aufgaben oder Lernaktivitäten geben, um den Lernerfolg zu steigern.
Im Kleinen kann man das an Werkzeugen wie Knowji sehen, im Großen an KI-gestützten Plattformen wie Coursera. Diese schlagen Lernenden den nächsten Lerninhalt automatisch basierend auf dem bisher absolvierten vor.
Dies kann bis hin zu interaktiver, automatisierter Gamification gehen und damit als ein vielversprechender Ansatz rasch für viele Lernende verfügbar gemacht werden, wie das nachfolgende einfache Beispiel in einer Kombination dreier KI-Programme erahnen lässt: Spiritual Chat with ChatGPT NPCs in Virtual Reality
Nachdem ich die meiner Meinung nach zentralen Chancen und positiven Optionen vom Einsatz generativer Werkzeuge im Bildungsbereich angeschaut habe, betrachte ich nachfolgend die möglichen Probleme, die deren Einsatz mit sich bringen kann.
Herausforderungen von Chatbots und KI im Bildungsbereich
1. Datenschutz und Datensicherheit
Die Verwendung von KI-Systemen und Chatbots im Bildungsbereich erfordert die Sammlung von persönlichen Daten, die die Privatsphäre von Lernenden und Lehrenden gefährden können. Das Thema Datenschutz ist besonders wichtig, da im Rahmen solcher Werkzeug-Einsätze besonders viele Daten anfallen. Hierzu zählen zum Beispiel profilbildende Informationen, standorts- und sprachspezifische Daten oder auch Daten zu persönlichen Präferenzen.
Oder auch Metadaten, in welchen beispielsweise aus der Kombination von Daten zu Bewegung und verbrauchtem Datenvolumen Profile über App-Nutzung generiert werden können. Diese Daten können im Fall von Diebstahl und Missbrauch gegebenenfalls identifiziert und mit den individuellen Datenquellen verknüpft werden. Bei Metadaten gilt dies, selbst wenn sie vorher pseudo- oder anonymisiert wurden.
Es besteht auch das Risiko von Cyberangriffen, die die Integrität von Computersystemen beeinträchtigen und den Datenschutz die Datensicherheit gefährden können. Die Gefahren reichen dabei von Identitätsdiebstahl und -klonen durch genug Interaktionsdaten bis hin zu Zugängen für Kriminelle an den normalen Sicherheitsvorkehrungen des Systems vorbei innerhalb des KI-Werkzeuges. Dabei “tarnen” sich Angreifer innerhalb der KI-generierten Daten und sind so von außen schwer erkennbar.
Vor allem bei immer komplexerer Software wird es gleichsam herausfordernder, derartige Probleme zu identifizieren und zu beheben. Denn mehr Komplexität bei Softwaresystemen bedeutet mehr Fläche für Angriffe und mehr Aufwand bei der Kontrolle, um diese abzuwehren. So bedeuten z.B. mehr Ports in einem System mehr potenzielle Einfallstore für Schadsoftware, ähnlich wie Mücken leichter durch mehrere statt nur ein offenes Fenster kommen.
Aufgrund der Komplexität und Dynamik kann dieses Thema leider nicht vertieft in diesem Unterpunkt diskutiert werden. Die Schlüsselinformation hier ist ein Sicherheitsbewusstsein und die richtigen Fragen zum Einsatz dieser Systeme, die einen großen, positiven Effekt mit sich bringen.
2. Abhängigkeit von Technologie
Die Verwendung von KI-Systemen und Chatbots im Bildungsbereich kann meines Erachtens auch dazu führen, dass Lehrende und Lernende eine Abhängigkeit von der Technologie entwickeln und Schwierigkeiten haben, ohne sie zu arbeiten. Dies kann zu Problemen führen, wenn Systeme ausfallen oder nicht in praktikabler Geschwindigkeit verfügbar sind. Sich gegenseitig unterstützende und im Ausfall ersetzende Strukturen werden damit immer wichtiger (z.B. automatische Backups in einer gesicherten Cloud-Umgebung. (Eigenschaften solcher sicherer Umgebungen findet man zum Beispiel hier)
3. Mangel an sozialer Interaktion
Der Einsatz generativer Werkzeuge kann, unreflektiert und ohne strategischen Einsatz, auch zu einem Mangel an sozialer Interaktion zwischen Lehrkräften und Lernenden führen. Da die Technologie das Potenzial hat, menschliche Interaktionen zu ersetzen, sehe ich die Gefahr, dass Lernende weniger Gelegenheit haben, mit anderen Lernenden und Lehrern zu interagieren, um soziale Kompetenzen zu entwickeln. Auch können KI-Systeme nicht immer menschliche Empathie und Emotionen ersetzen, die für eine effektive pädagogische Erfahrung unerlässlich sind, wie z.B. die Zwischentöne bei Gesprächen, Körpersprache und Einfühlungsvermögen im sozialen Austausch. Es ist meiner Ansicht nach wichtig, sicherzustellen, dass die Verwendung von KI im Bildungsbereich nicht dazu führt, dass zwischenmenschliche Beziehungen vernachlässigt werden. Die bereits angesprochene Gamification und konstant realistischer wirkende KI-Avatare lassen diese Herausforderung täglich wachsen und können am besten durch offene Kommunikation über die Möglichkeiten und Vor- und Nachteile dieser Systeme im Lernprozess beantwortet werden.
Lehrkräfte werden so im besten Fall als “Reiseleiter” statt als Konkurrenten im KI-gestützten Lernen positioniert. So können auch Szenarien vermieden werden, in welchen KI-gestützte Avatare in Lernsituationen langfristig Menschen gegenüber bevorzugt werden.
Ein Beispiel für diese dichotome Entwicklungsrichtung ist der beliebte Chatbot Replika.
4. Begrenzte Anpassungsfähigkeit
Ein weiteres Problem bei der Verwendung von KI-Systemen und Chatbots im Bildungsbereich ist ihre zwar umfangreiche, aber am Ende doch begrenzte Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Lernstile bzw. -präferenzen und Bedürfnisse von Lernenden. Obwohl KI-Systeme in der Lage sind, große Datenmengen zu analysieren und Muster zu identifizieren, können sie möglicherweise nicht die Feinheiten erfassen, die in der Beziehung zwischen Lehrern und Lernenden wichtig sind. Lernende mit besonderen Bedürfnissen oder unterschiedlichen Lernstilen können daher eventuell nicht die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, um erfolgreich zu lernen. Vor allem empathiebasierte Nuancen in der Interaktion wie das Erkennen von Körpersprache und Subtext aus dem Gesagten sind davon betroffen. Lösung ist auch hier die konstante Aktualisierung und Adaption des eigenen Lehrstils in Kombination mit KI-Werkzeugen.
Das bedeutet konkret: In analytischen Fächern kann KI schnell und wirkungsvoll, automatisiert individualisierend eingesetzt werden, wenn es um Fachinhalte geht. Bei emotionalen und sozialen Themen hingegen wird wohl auf absehbare Zeit der Mensch die Lernleitung behalten.
Ethik und Verantwortung
Die Verwendung generativer Systeme im Bildungsbereich wirft auch Fragen der Ethik und Verantwortung auf. Zum Beispiel kann die Automatisierung von pädagogischen Prozessen zu einer Entmenschlichung des Bildungssystems führen und die Machtverhältnisse zwischen Lehrenden und Lernenden verändern.
Dadurch ist eine Bandbreite von Entwicklungen denkbar: Von Lehrkräften, die sich nicht mehr in die “algorithmischen Karten” schauen lassen, da sie mit eigens “feingetunten” Algorithmen arbeiten und es aufwändig ist, diese nachzuvollziehen und zu verstehen.
Bis hin zum Gegenteil des zentralen Zwecks neben der eigentlichen Bildung selbst: Sozialkompetenzen in der Lerngruppe zu erwerben. Wenn die Lehre im Wesentlichen am Bildschirm passiert und dies strukturell so festgelegt ist, dann sehe ich die Gefahr einer strukturellen, sozialen Abstumpfung.
Es ist aus diesen Gründen wichtig, KI im Bildungsbereich transparent, fair und ethisch verantwortungsvoll zu verwenden.
Lehrkräfte und Lernende sollten in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden und es sollten klare Richtlinien für den Umgang mit den Daten und Systemen festgelegt werden, um Missbrauch zu vermeiden.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verwendung von künstlicher Intelligenz im Allgemeinen und Chatbots im Speziellen im Bildungsbereich meiner Meinung nach viele Chancen bietet.
Angefangen bei einer personalisierten Erfahrung bis zu möglichen Steigerungen der Lernleistung. Es gibt jedoch auch einige Herausforderungen, die dabei unbedingt angemessen adressiert werden müssen. Dazu zählen Aspekte der Privatsphäre, Verlässlichkeit der Werkzeuge oder auch Fragen der Verantwortung im Umgang mit diesen Tools.
Wenn diese Herausforderungen jedoch erfolgreich angegangen werden, kann die Verwendung von ChatGPT und KI generell im Bildungsbereich dazu beitragen, die Art und Weise zu verändern, wie wir lernen und unsere Bildungssysteme verbessern. Im besten Fall kommt so ein maßgeschneidertes, freudvolles und mitwachsendes Lernen für jeden. Diese Aussicht ist es Wert, auch ggf. anstrengende Transformationsprozesse in Angriff zu nehmen.
CC BY SA 3.0 DE by Benjamin Eidam für wb-web (30.06.2023)