Erfahrungsbericht

"Es gibt viele Lehrkräfte, die sich schwer tun mit der Digitalisierung"

Es ist viel die Rede von der digitalen Bildungsrevolution. Dabei wird in klassischen Medien vor allem der digitale Wandel in Schulen näher beleuchtet. Doch wie ist die Situation in der Erwachsenen- und Weiterbildung? Wir haben den Medienpädagogen Johannes Wentzel aus Münster dazu befragt. Sind die Lehrenden in der Erwachsenen- und Weiterbildung auf den digitalen Wandel vorbereitet? 

Portaitfoto von Johannes Wentzel

wb-web: Herr Wentzel, könnten Sie sich und Ihre Arbeit kurz vorstellen.

Johannes Wentzel: Gern. Ich heiße Johannes Wentzel und habe in Münster katholische Theologie studiert. Ich habe schon während meines Studiums viel in den Medien gearbeitet, zum Beispiel fürs Radio. Zunächst habe ich medial vor allem im kirchlichen Kontext gearbeitet, was in Münster naheliegend ist, da das Bistum ein großer Bildungsträger ist. Ich habe parallel dazu angefangen auch Seminare in der Erwachsenenbildung zu geben, u.a. klassische EDV-Seminare. Heute führe ich ganz überwiegend Medientrainings mit Jugendlichen in Schulen durch und bilde Lehrende in Bildungseinrichtungen fort: Lehrkräfte in Schulen, Pädagoginnen und Pädagogen aus dem Kita- und Grundschulbereich, oder auch Kursleitende. Ich halte auch Vorträge, häufig im Auftrag der Landesanstalt für Medien in Düsseldorf oder für das Grimme-Institut in Marl.

wb-web: Es wird viel über Digitalisierung in Schulen und an Hochschulen geredet aber nicht so sehr in der Weiterbildung – wenn wir klassische E-Learning-Angebote mal außen vor lassen. Stimmt diese Wahrnehmung?

Johannes Wentzel: Ich gebe Ihnen Recht. Es wird viel darüber gesprochen, dass Schulen mit IT ausgestattet werden, z.B. mit iPads und White Boards. Bei Universitäten ist die Diskussion vergleichbar. Ich würde dies aber nicht so hoch hängen. Teilweise haben auch Schulen sehr veraltete Technik. Außerdem ist es das Eine, die Technik zu haben und das Andere, sie am Ende auch einzusetzen.

Im Feld der Weiterbildung erlebe ich im Kollegenkreis: Da ist nicht allzu viel. Es kommt natürlich darauf an, was ich als Weiterbildner anbiete. Wenn ich Gymnastik mit Schwangeren anbiete, benötige ich kein iPad. Aber was die technische Ausstattung bei Bildungsanbietern betrifft sind es meist Laptops mit WLAN. Punkt. Da ist Handlungsbedarf.

wb-web: In Los Angeles wurden ab 2013 Hunderttausende iPads in die Schulen gebracht. Nun hat man gemerkt: das Projekt ist gescheitert: Schlechte Software, die Lehrer fühlen sich überfordert und verweigern die Nutzung der iPads. Was sagt Ihnen das über die Rolle der Lehrkräfte im Digitalisierungsprozess?

Johannes Wentzel: Es gibt viele Lehrkräfte die sich schwer tun mit der Digitalisierung. Und ich mache ihnen auch gar keinen Vorwurf. Sie haben ja schon ihre pädagogische Expertise und ein Fachgebiet. Es ist wahrscheinlich zu viel verlangt zu sagen: Bildet Euch ständig fort über Apps und Tools, die sich gut in der Bildungsarbeit einsetzen lassen.

Ich erlebe häufig, dass Geräte angeschafft werden und erst dann geschaut wird, wozu sie eingesetzt werden können. Ich muss mir, bevor ich Geräte ins Haus hole, überlegen, was ich damit erreichen möchte. Sollten wir Tablets anbieten oder ist Bring Your Own Device (BYOD) eine bessere Strategie? Viele Einrichtungen haben ihre Whiteboards, Tablets und WLAN. Dieses interaktive Whiteboard ist dann da und es wird etwas drauf geklippt. Am Ende ist es jedoch nur eine bessere Tafel. Ich glaube man müsste sich überlegen: Welches Leitbild haben wir im Haus? Wo wollen wir hin? Welche Zielgruppe möchten wir ansprechen? Solche Überlegungen müssen im Vorfeld stattfinden, bevor man all die Geräte anschafft.

wb-web: Der Mediendidaktiker Volker Kerres sieht zwei Trends in der Digitalisierung der Bildung: das Lernen im Seminarraum wird digitaler. Das Lernen im Netz wird sozialer. Somit werden klassische Abgrenzungen zwischen on- und offline-Lernen obsolet. Ist die Erwachsenenbildung in Deutschland, sind die Lehrkräfte aus ihrer Sicht darauf eingestellt?

Johannes Wentzel: Auch ein gutes Seminar lebt nicht allein von einer Didaktik, die digitale Medien mit einbezieht. Ich kann das auch alles gut mit Tafel und Kreide, Stift und Papier machen. Ich denke aber, dass digitale Medien Vorteile haben. Man hat Ergebnisse sofort dauerhaft gesichert. Ich kann sie von überall abrufen, z.B. um den im Kurs vermittelten Lernstoff zu wiederholen.

Ich persönlich sehe den Trend hin zu einer ausgeprägten Digitalisierung in der Weiterbildung im Moment nicht. Es gibt natürlich vereinzelt Lehrkräfte, die sich auf den Weg gemacht haben aber die technische Ausstattung in vielen Einrichtungen hinkt noch weit hinterher.

wb-web: Aber wir hatten doch schon festgestellt, dass es nicht nur eine Frage der technischen Ausstattung ist. Merken Sie, ob es bei manchen Lehrkräften Barrieren gibt, weil sie sagen, das bringt doch alles nichts oder weil sie sich überfordert fühlen?

Johannes Wentzel: Natürlich. Die Infrastruktur ist nur eine Voraussetzung. Der andere wichtige Punkt ist: Sehe ich eine Notwendigkeit zur Veränderung? Das ist nicht nur eine Generationenfrage. Ich sehe z.B. in der Lehrerausbildung wenig Medienpädagogen und wenn es dann doch welche gibt, dann beschränkt sich deren Arbeit darauf zu vermitteln, wie man eine Fotostory mit PowerPoint erstellt. Dabei gibt es so viel mehr Möglichkeiten! Und wenn es niemanden gibt, der den angehenden Lehrkräften sagt man kann noch dieses und jenes machen, dann assoziieren viele digitale Medien mit Facebook. Und dann heißt es: „Die sammeln Daten, das will ich nicht. Und WhatsApp ist sowieso blöd.“ Da gibt es häufig sehr viel Unsicherheit. Ich glaube das ist ein sehr großes Hindernis.

wb-web: Ist Ihre Arbeit dann eher Training zum geeigneten Einsatz von Tools oder besteht Ihre Aufgabe eher darin, Überzeugungsarbeit zu leisten?

Johannes Wentzel: Ich glaube, dass im Moment vor allem das Aufzeigen von Möglichkeiten die dringlichste Aufgabe ist. Ich zeige den Teilnehmenden, dass viele Tools einfach einsetzbar sind. Zu Anfang sind viele skeptisch aber nachher sagen sie: es geht und ist einfach umsetzbar.

wb-web: Sie arbeiten beruflich sowohl mit Lehrkräften an Schulen als auch in der Erwachsenenbildung zusammen. Wer ist besser gerüstet für einen sinnvollen Medieneinsatz in der Bildungsarbeit?

Johannes Wentzel: Wenn man an klassische VHS-Settings denkt, muss man festhalten, dass Schulen schon besser ausgestattet sind. Viele Volkshochschulen haben ihr klassisches Angebot: Präsentieren mit PowerPoint usw. Eine große Zahl der VHS-Kursbesucher ist nicht unbedingt medienaffin. Von daher ist auch das Equipment in diesen Einrichtungen eher minimalistisch. Der Unterschied zu den Schulen liegt aber auch darin begründet, dass Schulen finanziell besser gestellt sind.

wb-web: Was sind für Sie Positiv-Beispiele für den Einsatz digitaler Medien in der Erwachsenenbildung?

Johannes Wentzel: Nehmen wir einmal die Stolpersteine als Beispiel, die es in vielen Städten gibt. Diese können in Bildungsparcourse eingebettet und für die historische Bildungsarbeit in der Schule oder der Erwachsenenbildung genutzt werden. Dabei werden nicht nur die Stolpersteine an sich betrachtet sondern die Biografien der darauf Verewigten nachgezeichnet. Wer hat hier gelebt? Oder wie sah die Straße aus bevor alles zerstört wurde? Wie war das Leben hier? Ich kann eine kostenfreie App einsetzen und den alten Straßenzug anzeigen lassen wenn ich mit meinem Smartphone durch die Gegend laufe (=> Augmented Reality). Ich kann verschiedene Aufgaben lösen und vieles mehr. Solche Projekte gibt es im Ansatz, z.B. in Berlin zum Thema Berliner Mauer. Das ist erfahrbare Geschichte. Ich wünsche mir, dass es noch mehr davon gibt. Das ist wie ein Tank. Da können Sie viel reintun. Da bin ich ganz Feuer und Flamme.

wb-web: Haben Sie eine Prognose, in welche Richtung der Einsatz digitaler Medien in der Erwachsenenbildung steuert? Wird Blendend Learning, also die Vermischung aus Präsenzveranstaltungen und Online-Lernphasen an Bedeutung gewinnen oder wird sich die Erwachsenenbildung irgendwann größtenteils ins Netz verlagern? VHS-Kurse im Wohnzimmer?

Johannes Wentzel: Es gab vor einigen Jahren mal einen Hype um Second Life. Da haben meine Kollegen und ich gedacht: Donnerwetter, das ist es. Lernen auf dem Sofa. Letztlich dümpelt Second Life nur vor sich hin. Es gibt viele offene Kurse wie z.B. MOOCs. Das ist toll. Aber ich weiß nicht wie tragfähig das ist. So einen Kurs muss ich erstmal durchhalten. Das erfordert viel Motivation.

Meine Prognose ist: die Leute werden immer besser ausgestattet mit Hardware. Man wird immer mehr dazu übergehen zu sagen, bringt eure Geräte mit, wir machen was damit. Der Ansatz Bring Your Own Device wird populärer. Alles wird mobiler und entwickelt sich auch in traditionelleren Settings weg vom EDV-Raum. Ich glaube, dass Blended Learning eine große Rolle spielen wird: kurze, individualisierte Inputs zwischendurch, nicht 45 min. am Stück, und mit verschiedenen Lernkontrollmöglichkeiten. Ich persönlich bin aber auch Fan davon, sich in eingeschobenen Präsenzphasen auch mal zu treffen.  

Johannes Wentzel ist selbstständiger Medienreferent und Medienpädagoge in Münster, Westfalen. Seit 15 Jahren arbeitet er in der (außer-)schulischen Jugend- und Erwachsenenbildung. Er  bietet Fortbildungen, Informationsveranstaltungen, Elternabende und Medientrainings für unterschiedliche Zielgruppen zum Thema verantwortungsvoller und kreativer Umgang mit digitalen Medien an. 


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