Erfahrungsbericht
Bildungsurlaub: Im Einsatz für mehr Nachhaltigkeit
Einmal dem beruflichen Alltag entschwinden, dabei Neues lernen, mit motivierten anderen Menschen in Kontakt kommen und vielleicht sogar etwas Gutes für die Umwelt tun – was für eine reizvolle Idee! Mit einem einwöchigen Bildungsurlaub war das unkompliziert realisierbar und eine wirklich schöne Erfahrung!
Eine spontane Entscheidung
Dass es Bildungsurlaub gibt und ich grundsätzlich jedes Jahr Anspruch darauf habe, war mir zwar klar, aber genutzt hatte ich diese Möglichkeit bislang in meinem Berufsleben nicht. Erst als ich thematisch in meiner Tätigkeit als Online-Redakteurin in der Erwachsenen- und Weiterbildung damit konfrontiert wurde und einen Podcast zur BNE-Zertifizierung von Bildungshäusern bearbeitete, wurde das Thema bei mir präsent.
In dem Podcast ging es um das Heinrich-Lübke-Haus am Möhnesee bei Soest, das aufgrund seines Bildungsprogrammangebots und seiner Bemühungen im Rahmen des Whole Institution Approach BNE-zertifiziert wurde. Das sprach mich gleich an und mit Blick auf das ausgeschriebene Bildungsprogramm fand ich direkt ein passendes Seminar: „Die Streuobstwiese – eine wertvolle Kulturlandschaft“. Die Zeit war knapp, das Seminar stand kurz bevor, aber ein Telefonat mit dem Bildungshaus und eine E-Mail an meinem Vorgesetzten sicherten mir von beiden Seiten völlig unkompliziert den vorletzten Platz im Seminar, samt eines Einzelzimmers im Tagungshaus.
Die bunt gemischte Gruppe
19 Teilnehmer*innen im Alter von 19 bis 68 Jahren fanden sich im Seminar zusammen. Die Gruppe war sehr heterogen gemischt: Von der Auszubildenden, die in ihrem Betrieb von Bildungsurlaub gehört hatte und gleich ihre Schwester mitbrachte, die als Studentin zufällig gerade Zeit hatte, über den Diplomverwaltungsfachwirt aus dem Krankenhaus, der aufgrund hoher Arbeitsbelastung Luftveränderung brauchte, weiter zum engagierten Selbstständigen, der als Quereinsteiger eine solidarische Landwirtschaft gegründete hatte, bis hin zur Rentnerin, die sich besonders wissbegierig zeigte und der Ruhestand ohne Weiterbildung zu langweilig erschien, waren zahlreiche Persönlichkeiten dabei.
Es gab viele Angestellte aus der öffentlichen Verwaltung, aber auch einige andere berufliche Hintergründe. Bereits in der Vorstellungsrunde wurde deutlich: Heterogenität hin oder her, das Interesse an und das Engagement für die Umwelt einte die Gruppe.
Warum Bildungsurlaub?
Meine persönliche Motivation für den Bildungsurlaub war die Aussicht auf die intensive Beschäftigung mit einem für mich interessanten Thema und der Kontakt mit anderen engagierten Menschen in einem lockeren Umfeld. Ähnlich beschrieben es auch andere Seminarteilnehmer*innen. Zwei Teilnehmende hatten die Kursgebühren über eine Stiftung finanziert bekommen und gaben das als größten Anreiz für die Anmeldung an.
Mehrere Teilnehmende entpuppten sich als Wiederholungstäter*innen und Fans des Heinrich-Lübke-Hauses. Sie erzählten von zahlreichen vergangenen Bildungsurlauben vor Ort, hatten extra eine Gitarre für das Abendprogramm mitgebracht und kannten zum Beispiel die Bar vor Ort, die man unter der Woche unbedingt besuchen müsste. Zwei Gruppen hatten sich sogar konkret für den Kurs verabredet: Sie hatten sich vor Jahren bei einem ähnlichen Angebot in diesem Haus kennengelernt und treffen sich seither fast jedes Jahr bei einem Seminar am Möhnesee oder in anderen Teilen Deutschlands wieder.
Eine Frau erzählte, sie mache mittlerweile sogar zweimal im Jahr Bildungsurlaub – einmal im Rahmen des Weiterbildungszeitgesetzes und einmal in ihrem privaten Erholungsurlaub.
Ein vielfältiges Programm
Da ich ein Bildungsurlaubsneuling war, konnte ich mir vorher wenig zu Ablauf, Umfang und Rahmenbedingungen des Angebots vorstellen, wurde aber angenehm überrascht: Das Programm war zwar von 9 bis mindestens 18 Uhr recht tagesfüllend zusammengestellt, aber mittags gab es im Regelfall eine zweistündige Mittagspause und jeder Tag war mit einem Ausflug oder einem externen Gast sehr kurzweilig gestaltet.
Seminarinhalt war die Kulturlandschaft Streuobstwiese und ihr Beitrag als artenreiches Biotop zum Tier- und Pflanzenschutz, aber auch ihre Bedeutung für die Landwirtschaft und ihr politischer Stellenwert. Einige Aspekte wurden theoretisch im Seminarraum vermittelt, aber der Großteil fand draußen und am Ort des Geschehens statt: Spaziergänge durch die Dörfer am Möhnesee, Besuche im Landschaftsschutzgebiet, die Besichtigung einer Mosterei und ein Exkurs zu einer Obstbaumschule machten den Weg vom Veredeln eines einzelnen Obstbaums bis zur Endvermarktung der Früchte sicht- und erlebbar. Zudem wurden alte Obstbaumsorten thematisiert, der Beitrag von Wildbienen und Insekten insgesamt und die Pflege von Streuobstwiesen im Speziellen angesprochen.
Bei so vielfältigen Aspekten stieg man aber natürlich in keinen Bereich ganz tief ein. Der Obstbaumschnitt oder die Veredelung wurden zwar durchgenommen und auch in der Praxis gezeigt, aber es gab keine Möglichkeit, sich in diesen Disziplinen einmal selbst auszuprobieren, wobei das auch der Jahreszeit geschuldet war, die weder für den Schnitt noch für die Veredelung gut geeignet gewesen wäre.
Bildung für nachhaltige Entwicklung
Das Streuobstwiesen-Seminar war ein Angebot des Fachbereichs „Natur, Umwelt und Ökologie“ des Heinrich-Lübke-Hauses und stand unter der Fahne der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Spannenderweise waren zwar alle Teilnehmer*innen durchaus interessiert und engagiert in Sachen Nachhaltigkeit, hatten aber von dem Weltaktionsprogramm der UNESCO noch nie gehört. Neben mir gab es nur eine weitere Person, die mit dem Kürzel BNE etwas anfangen konnte. Umso schöner und wichtiger, dass im Heinrich-Lübke-Haus ein so vielfältiges Angebot rund um BNE auf die Beine gestellt wird.
Im Sinne des Whole Institution Approach (Nachhaltigkeit wird auf allen Ebenen in der Institution gelebt) gibt es in meinen Augen allerdings noch Entwicklungspotenzial. Das Tagungshaus selbst ist ein etwas in die Jahre gekommener Bau, bei dem viel Renovierungsbedarf besteht. Hier gibt es zwar vielfältige Pläne für die Zukunft, gleichzeitig aber den Anspruch, weiterhin ein erschwingliches Bildungsangebot für alle Menschen bereitzuhalten, was die Finanzierung umfassender Renovierungsmaßnahmen verständlicherweise deutlich erschwert.
Aber auch im Kleinen gibt es einige Punkte, die mit geringen oder auch ohne zusätzliche finanzielle Mittel das Thema Nachhaltigkeit stärken würden:
Das Essen war zum Beispiel trotz sehr guter warmer vegetarischer Alternativen überwiegend fleischlastig. Im Morgen- und Abendbuffet gab es ein reichhaltiges Wurstwarenangebot, aber nur zwei bis drei vegetarische und kaum eine vegane Alternative. Ein gegenteiliges Verhältnis hätte zumindest in unserer Seminargruppe volle Akzeptanz gehabt.
In den Außenbereichen wurde vorrangig Wert auf ein ordentliches Aussehen gelegt. Dass der Rasen dabei so kurz gemäht wurde, dass sogar die Wurzeln der Bäume beschädigt wurden und Insekten und Kleinsäuger keine Chance auf einen Lebensraum am Boden hatten, schien dabei nicht ins Gewicht zu fallen. In vorausgegangenen Kursen mit BNE-Bezug wurde eine Blühwiese angelegt und ein Insektenhotel gebaut. Bei einigen tausend Quadratmetern Grünfläche wurde diesen Projektergebnissen aber gerade mal eine Fläche von circa fünf mal fünf Metern zugebilligt. Da ginge noch deutlich mehr, zumal das Haus mit der Seminar- und Fachbereichsleiterin Beatrix Peter eine absolute Fachfrau in Sachen nachhaltige Entwicklung, Gestaltung von Ökosystemen und Schaffen von Lebensraum besitzt. Dieser engagierten Expertin könnte mehr Beratungs- und Entscheidungsgewalt eingeräumt werden, um das ganze Mitarbeiter*innenteam des Bildungshauses für einen nachhaltigen Einsatz in allen Arbeitsbereichen zu sensibilisieren.
Nach Aussage der Seminarleiterin werden aber Anregungen der Kursteilnehmer*innen auf Leitungsebene sehr ernst genommen, weswegen ich und einige Seminarteilnehmer*innen regen Gebrauch von den dafür vorgesehenen Feedbackbögen machten.
Fazit
Das Tagungshaus mag weit entfernt von einem modernen und energetisch ansprechenden Betrieb sein, aber dafür ist die Unterbringung günstig und herzlich. Alle Mitarbeitenden waren stets freundlich und die Seminarleiterin über alle Maße bemüht, interessiert und engagiert.
Das Konzept Bildungsurlaub hat mir sehr gefallen! Wobei es doch recht anstrengend war, täglich so viele neue Eindrücke und so viel neues Wissen aufzunehmen. Am Ende der Woche habe ich mich weniger nach Urlaub als nach Weiterbildung gefühlt, aber das war ja durchaus so gedacht. Meine Seminarkolleg*innen waren allesamt angenehme Gesprächspartner*innen und ich habe mich auch in den Gruppen von Menschen, die sich schon länger kannten, freundlich aufgenommen gefühlt.
Auch wenn mich die Themen Ökologie, Artenschutz und Biodiversität persönlich sehr interessieren, hätte ich mich ohne den Bildungsurlaub niemals so intensiv am Stück damit auseinandergesetzt. Ich konnte auch beruflich vom Seminar profitieren und einige Ideen und Neuerlerntes in meinen Arbeitsalltag einbringen.
Dieses Bildungskonzept war ganz nach meinem Geschmack und ich habe gerne in die Weiterbildung investiert. Mit dieser positiven Erfahrung kann ich mir gut vorstellen, selbst zur „Wiederholungstäterin“ zu werden.
CC BY-SA 3.0 DE by Christina Bliss für wb-web (19.03.2024)
29. Folge: Bildungsurlaub
Im 29. Podcast potenziaLLL spricht Lars Kilian aus der wb-web Redaktion mit Frau Pabst, Frau Zeuner und Herrn Christ über den Nutzen, die Anerkennung und die Entwicklung von Bildungsurlaub. Während die beiden Gesprächspartnerinnen zum Thema Bildungsurlaub qualitativ geforscht haben, war Herr Christ viele Jahre beim Land Rheinland-Pfalz für die Anerkennung von Bildungsurlaubsangeboten zuständig.