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Wissensraum statt Dritter Ort: Die DIE-Bibliothek

Bibliothek des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung

Bibliothek des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung

(Bild: DIE)

Am 24.10.2018 ist es wieder soweit: Tag der Bibliotheken. An diesem Tag werden zum einen im Bibliothekswesen wichtige Preise wie Bibliothek des Jahres und die Karl-Preusker-Medaille vergeben. Zum anderen nutzen seit über 20 Jahren vorwiegend Bibliotheken in Deutschland diesen Tag, um Aufmerksamkeit auf ihre vielfältigen Rollen zu lenken. Die traditionellen Kernfunktionen von wissenschaftlichen Bibliotheken sind Sammeln, Speichern, Erschließen, Klassifizieren, Bereitstellen und Vermitteln von Information, Ausführen des Bildungs- und Kulturauftrags. Diese Kernfunktionen verschieben sich und dehnen sich aus. So sind Bibliotheken mittlerweile u.a. auch Forschungsdatenmanager und Servicelieferanten in Wissenschaftskommunikation und -kooperation.

Auch Bibliotheksbauten und Bibliotheksräume sowie die Perspektiven auf diese unterliegen stetigem Wandel. Während noch bis in die späten 1990er Jahre Bibliotheksbauten rein von der Funktion her gesehen wurden, hat sich mittlerweile eine ganzheitliche Sicht mit dem Fokus auf Mensch und Interaktion etabliert: Interaktion der Bibliotheksbenutzer untereinander, Interaktion mit neuen medialen Bibliotheksservices sowie Interaktion mit den Bibliotheksräumen, wobei die vielfältigen raumbezogenen Bedürfnisse der Nutzer hier eine zentrale Stellung einnehmen.

Dieser Blickwechsel hin zu einer größeren Gewichtung der sozialen Dimension liegt auch in der zunehmenden Diskussion der Bibliothek als Ort begründet. Nachdem Ende der 1980er Jahre der Soziologe Ray Oldenburg das Konzept des Dritten Orts entwickelte, wird eine stetige Diskussion um Bibliotheken als Dritte Orte geführt. Oldenburgs Vorstellung im bibliothekarischen Kontext sehen zu wollen, ist zwar einfach und „griffig“, geschieht aber leider viel zu oft unreflektiert, zweckentfremdend und missbräuchlich. Denn Oldenburgs Dritte Orte sind im ursprünglichen Sinn als kommerzielle Räume beschrieben. Eine breite kritische Auseinandersetzung im Bibliothekswesen mit Oldenburgs Konzept fehlt bisher. Derzeit wird der Dritte Ort in NRW kulturpolitisch vor allem in Bezug auf Öffentliche Bibliotheken neuinterpretiert.

Was sind nun moderne Kriterien für nutzerorientierte Bibliotheksräume? Hier ist der Rückgriff auf Andrew McDonalds 2006 formulierte Top Ten Qualities of Good Library Space hilfreich.

  1. Funktional: erfüllt seinen Zweck, sieht gut aus, ist nachhaltig
  2. Anpassungsfähig: flexibler Raum, dessen Nutzung leicht veränderbar ist
  3. Zugänglich: sozialer Raum, der einladend ist und Selbstständigkeit fördert.
  4. Differenziert: Auswahl verschiedener Umgebungen
  5. Interaktiv: gut organisierter Raum, der den Austausch befördert
  6. Fördernd: Raum mit menschlichem Maßstab, der motiviert und inspiriert
  7. Angenehme Umgebung: gute Bedingungen für Menschen und Medien
  8. Sicher: für Menschen, Medienbestände und Einrichtung
  9. Wirtschaftlich: schont personelle, budgetäre und räumliche Ressourcen
  10. Technisch vorgerüstet: flexible technische Ausstattung
  11. Oomph oder Wow: inspirierender Raum, der die Identifikation fördert

Wenngleich im Grunde elf statt zehn und zudem schwer operationalisierbare Kriterien, finden sich doch all diese Merkmale in der auf allen Ebenen neugestalteten Bibliothek des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung wieder.


Bibliothek des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung

Bibliothek des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (Bild: DIE)

Optimiert, multifacettiert: Die Neugestaltung der DIE-Bibliothek

Die Bibliothek des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) ist Teil der Abteilung Forschungsinfrastrukturen. Neben Informationsinfrastruktur bietet sie jedoch aufgrund ihrer innovativen räumlichen Infrastruktur auch eine optimierte soziale Infrastruktur. In der DIE-Bibliothek gibt es keine dunklen Ecken oder geschlossenen Räume. Es greifen dort verschiedene Funktionen wie inspirierende Arbeits- und Besprechungsumgebungen, Lernräume und Aufenthaltsqualität ineinander. Die Bibliothek geht hinsichtlich ihres Raumkonzeptes somit über die Multifunktionalität hinaus und lässt sich von der durch Olaf Eigenbrodt dargelegten Multifacettierung leiten.

Durch Verdichtung des Bestands und Umgestaltung des Interieur mit farbenfrohem, an individuelle Bedürfnisse anpassbarem Mobiliar wurde eine Zonierung zum Erhalt von Lern- und Arbeitsbereichen, wandelbaren Besprechungsinseln und offenen Konferenzräumen gebildet. Der Verwirklichung eines flexiblen Arbeitsmodells der Zukunft kommt die Bibliothek durch die Schaffung solcher Co-Working-Spaces einen Schritt näher. Bestandteile des modernen Infrastrukturangebotes sind formelle, funktionale Arbeitsplätze, informelle, komfortable Lounge-Bereiche sowie eine Multimedia-Umgebung. Ein mobiler Touchscreen lädt zu interaktiven Präsentationen ein. Dies begünstigt die Etablierung von Communities zum Ideen- und Erfahrungsaustausch und fördert kreatives Denken. Die Nutzung ist unverbindlich und zeitlich flexibel angelegt. Bewegliche Paneele mit Sicht- und Schallschutzfunktion können als Trennwände genutzt werden.

Neue Entwicklungen bzgl. der Grundprinzipien Raum, Team und Prozess ermöglichen nun die zwanglose Anwendung des Design-Thinking-Ansatzes im Rahmen des Innovationsmanagements. Nutzer sind herzlich dazu eingeladen, einen Beitrag zum Aufbau eines dynamischen Experimentierfelds zu leisten. Für die Bibliothek bietet sich so ferner die Gelegenheit, zum Kernort der Genese einer agilen Organisationskultur des DIE zu werden. Sie bietet darüber hinaus einen idealen Wissensraum für alle Teilhabenden am Prozess des lebenslangen Lernens.

Quellen zum Text

  • Eigenbrodt, O. (2014): Veränderte Kontexte und Funktionen: Ansätze einer neuen Typologie für Wissensräume, in: Eigenbrodt, O./Stang, R. (Hrsg.): Formierungen von Wissensräumen: Optionen des Zugangs zu Information und Bildung, De Gruyter 2014, S. 22-36. 
  • Eigenbrodt, O. (2013): The Multifaceted Place: Current Approaches to University Library Space, in: Matthews, G./Walton, G. (Hrsg.): University Libraries and Space in the Digital World, Farnham, London: Ashgate, S. 35-50.
  • McDonald, A. (2006): The Ten Commandments revisited: The Qualities of Good Library Space. In: LIBER Quarterly. 16(2). DOI: http://doi.org/10.18352/lq.7840
  • Oldenburg, R. (1989). The Great Good Place: Cafes, Coffee Shops, Community Centers, Beauty Parlors, General Stores, Bars, Hangouts, and How They Get You Through the Day. New York: Paragon House. 
  • Oldenburg, R. (2000). Celebrating the Third Place: Inspiring Stories about the "Great Good Places" at the Heart of Our Communities. New York: Marlowe   Company.

CC BY SA by Dr. Elke Bongartz für wb-web



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