Claudia Dehn Blog

Qualitätsentwicklung als Kontextsteuerung von Lernen

Dass sich die direkte Lehr-Lern-Interaktion mit Qualitätsmanagementsystemen nicht direktiv durchsteuern lässt, sorgt manchmal für Enttäuschung. Dabei belegt dieser Umstand vor allem, dass der Gegenstand des Lernens und Lehrens in seiner Eigenlogik ernst genommen und nicht durch Formalisierungen entmündigt wird. Was QM-Modelle leisten können und wie eine Qualitätsentwicklung als Kontextsteuerung von Lernen gelingt, erläutert in diesem Beitrag Claudia Dehn, Geschäftsführerin der ArtSet GmbH (Entwickler und Lizenzgeber der Modelle der Lerner- und Kundenorientierten Qualitätsentwicklung).

Die Eigenlogik des Lernens

Lernen ist nicht direkt von außen instrumentell zu bewirken, sondern es unterliegt immer der Neugier, der Motivation und der Eigenaktivität der Lernenden. Lernen ist also ein selbstgesteuerter Prozess. Daraus ergibt sich eine geradezu paradoxe Herausforderung für jede (Weiter-)Bildungsorganisation: Nutzen stiftende Qualitätsentwicklung muss einerseits wesentlich auf die Verbesserung des Lernens zielen, der subjektive Lernprozess ist andererseits nicht direkt durch Qualitätsentwicklung steuerbar. Durch die Steuerung der Kontextbedingungen kann aber sozusagen über Bande Einfluss auf den Lernprozess genommen werden. Denn ob Lernen zum Beispiel in einer angemessenen Umgebung und begleitet durch professionelle Fachkräfte stattfindet oder eben nicht, beeinflusst neben weiteren Faktoren das Gelingen von Lernen entscheidend.

Die Ermöglichung von Bildung steuern

Durch Qualitätsentwicklung in Bildungsorganisationen soll die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass individuelles Lernen stattfindet. Gelingendes Lernen soll so wahrscheinlich wie möglich werden – eine Garantie gibt es dafür allerdings nie. Die Organisation ist die Bedingung der Möglichkeit von Bildung: sie schafft Kontexte und Strukturen, die gelingendes Lernen ermöglichen oder verhindern können. Qualitätsentwicklung in Weiterbildungsorganisationen zielt deshalb auf die Steuerung der Kontextbedingungen des Lernprozesses, wie sie in den elf Qualitätsbereichen nach LQW – Lernerorientierte Qualitätsentwicklung für Weiterbildungsorganisationen – systematisiert wurden.

Die pädagogische Interaktion in der unmittelbaren Lehr-Lern-Situation direktiv zu steuern, ist nicht möglich – eine solche Auffassung übersieht, dass es keine allgemeingültigen Rezepte gibt, sondern dass gelingendes pädagogisches Handeln immer in eine bestimmte Situation eingebunden und des Weiteren an die Persönlichkeit der Lehrenden angebunden ist. Die Bedeutung der Persönlichkeit der Lehrenden für den Lernerfolg hat in jüngster Zeit zum Beispiel John Hattie mit seiner Metastudie erneut eindrucksvoll belegt (Hattie, 2013). Diese Besonderheiten des Lehrens ergänzen die eingangs beschriebene Eigenlogik des Lernens, das nicht – auch nicht durch QM-Modelle – von außen instrumentell angeleitet werden kann (hier irrt der Nürnberger Trichter), sondern immer ein selbstgesteuertes, eigenmotiviertes Geschehen ist. 

Die Kontexte des Lernens. (Grafik: ArtSet)

Abb.: Die Kontexte des Lernens. (Grafik: ArtSet)

Die Anforderungen der Kontextsteuerung richten sich auf alle Bedingungsfelder, die den Lehr-Lern-Prozess umkreisen: Ein Lernender bzw. eine Lernende kann umso besser lernen, je mehr die Qualität des Lehrens Lernen ermöglicht und nicht verhindert, zum Beispiel wenn Lehrende systematisch und passend zum Lernverständnis und den Zielen der Organisation ausgewählt und qualifiziert werden sowie wenn Klarheit besteht über die für gelungenes Lehren erforderlichen Kompetenzen, zum Beispiel über Anforderungsprofile, die Aussagen machen zu personalen, aktivitäts-/umsetzungsorientierten, fachlich-methodischen sowie sozial-kommunikativen Kompetenzen (Erpenbeck und von Rosenstiel, 2012, S. 12). Die Qualität des Lehrens erhöht sich durch eine passende Lerninfrastruktur, die u. a. Lernen unter selbstgesteuerten zeitlichen, räumlichen und methodischen Bedingungen ermöglicht. Die geeignete Lerninfrastruktur wird geprägt von den strukturellen Bedingungen der Organisation, wie sie sich in Informations-, Entscheidungs-, Kommunikations- und Kooperationsprozessen widerspiegeln. Alle diese organisationalen Prozesse und Strukturen werden im Qualitätsentwicklungsprozess nach LQW daraufhin durchleuchtet und aufeinander abgestimmt, ob sie die Qualität des Lernens erhöhen, womit sich der Kreis – die Kontexte des Lernens – schließt.

Rückbegründung der Qualitätsmaßnahmen auf gelungenes Lernen

Um die Gestaltung dieser Kontextbedingungen bewusst und gezielt vornehmen zu können, brauchen die Lehrenden eine inhaltliche Vorstellung davon, wann der Lernprozess als gelungen zu betrachten ist. Die organisationsspezifische Idealvorstellung des jeweils gelungenen Lernens wird daher in der Startphase des Qualitätsentwicklungsprozesses als Teil des Leitbildes definiert. Die Definition gelungenen Lernens dient dann als Fokus, aus dem heraus alle Qualitätsmaßnahmen begründet werden. Nach innen gewinnt die Organisation durch diese Vorgehensweise eine Entscheidungsgrundlage, welche Prozesse in welcher Weise zu regeln sind – nämlich so, dass sie begründbar den Lernprozess unterstützen. Nach außen signalisiert die (Weiter-)Bildungsorganisation mit dem Ausweis dessen, was sie als gelungenes Lernen anstrebt, ein Leistungsversprechen gegenüber ihren potenziellen Kunden, die sich entscheiden können, ob dieses Angebot mit ihren eigenen Vorstellungen übereinstimmt. (Zech, 2017, S. 27 f.)

Qualitätsentwicklung wirkt auf individuelles Lernen über den Perspektivwechsel auf die Lernenden

Das Lernerorientierte Qualitätsmodell LQW hat als branchenspezifisches Qualitätsmodell den Anspruch, seinem besonderen Gegenstand Lernen und Bildung gerecht zu werden. Es soll die Besonderheit des Bildungsprozesses – nämlich die Tatsache, dass Lernen immer eine Aktivität der Lernenden ist und nur durch Kontextbedingungen unterstützt und gefördert werden kann – berücksichtigen. Dies geschieht in folgender Weise:

  • Zunächst wird in den Anforderungen der meisten Qualitätsbereiche explizit auf die Lernenden Bezug genommen, so in den Qualitätsbereichen Leitbild, Bedarfserschließung, Lehr-Lern-Prozess, Evaluation der Bildungsprozesse, Infrastruktur und Kundenkommunikation. Die Perspektive der Lernenden wird hier also direkt eingenommen.
  • Zentral und einzigartig ist die Definition gelungenen Lernens gleich zu Beginn des gesamten Qualitätsentwicklungsprozesses und die Begründung der in den jeweiligen Bereichen unternommenen Qualitätsmaßnahmen aus dieser Definition heraus. So ist den Weiterbildungsorganisationen zum Beispiel freigestellt, welche Schlüsselprozesse sie für ihre Organisation festlegen; die Auswahl muss aber aus dem Lernendeninteresse heraus begründet werden. Die Perspektive der Lernenden kommt hier also vermittelt über den Begründungszusammenhang vor.
  • Schließlich findet ein Rückbezug auf die Definition gelungenen Lernens auch im Begutachtungsprozess statt, indem die Gutachter*innen die Definition wiederbeschreiben und kommentieren, die entsprechende Stimmigkeit der Begründungen der Qualitätsmaßnahmen prüfen und dies in der Diskussion des Selbstreports und des Gutachtens während der Visitation auch thematisieren.
Abb.: Die Qualitätsbereiche der Lernerorientierten Qualitätsentwicklung. (Grafik: ArtSet)

Abb.: Die Qualitätsbereiche der Lernerorientierten Qualitätsentwicklung. (Grafik: ArtSet)

Qualitätsentwicklung und das Prinzip des Gelingens

Wirksame Qualitätsentwicklung orientiert sich an den Bedürfnissen der Lernenden und der pädagogischen Mitarbeiter*innen. Verfahren und Instrumente sind kein Selbstzweck, sondern nur in dem Maße sinnvoll und nützlich, wie sie die Lernmöglichkeiten der an den Bildungsangeboten Teilnehmenden sowie die Arbeitsbedingungen der Mitarbeitenden verbessern. Bei der lernerorientierten Qualitätsentwicklung wird Qualität als gutes Gelingen aufgefasst, was wiederum direkt mit guter Arbeit und der Handlungsfähigkeit der beteiligten Menschen zu tun hat. Dabei ist Gelingen nicht gleichbedeutend mit Erfolg – ganz im Gegenteil ist der Unterschied zwischen Erfolg und Gelingen groß. Im Duden wird gelingen mit „glücken, gedeihen“ erklärt; es bedeutet ursprünglich „leicht oder schnell vonstattengehen“.

Damit ist es etwas ganz anderes als Erfolg, der von der Wortherkunft als ein Hinterher, der Ausgang, die Wirkung, die Folge von etwas bestimmt ist. Der Begriff hat in althochdeutscher Zeit auch die Bedeutung „sich nach jemandem richten, beistimmen, gehorchen“. Daher kommen die Wortbildungen »befolgen« und »folgsam«. Erfolg bedeutet, dass man etwas geschafft hat, es geht um das Erreichen eines äußerlichen Ziels. Das ist nicht immer unbedeutend, aber kennzeichnet alleine noch keine gute Arbeit. Das Gelingen hingegen bezieht das Subjekt ein, das sich selbstbestimmte Ziele gesetzt hat; es ist ein Glücken, ein Vermögen menschlicher Handlungsfähigkeit (Zech & Dehn, 2017, S. 18 f.).

Qualitätsentwicklung als Organisations- und Personalentwicklung

Eine weitere Grundannahme der Lernerorientierten Qualitätsentwicklung ist es, dass nachhaltig wirksame Qualitätsentwicklung nicht von Organisations- und Personalentwicklung zu trennen ist. Qualitätsentwicklung, die sich nicht in einer veränderten Strategie, Struktur und Kultur der Organisation auswirkt, wird äußerlich bleiben und nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Arbeitsergebnisse führen.

Dabei sind Organisationen keine statischen Gebilde, sondern sie sind ständig in Bewegung. Organisationen verändern sich unablässig, allerdings meistens in so kleinen Schritten, dass diese Veränderungen im Trubel des Alltags kaum wahrnehmbar sind. Jede Organisation unterliegt auf diese Weise einem sogenannten strukturellen Driften, und gelegentlich fällt den beteiligten Organisationsmitgliedern auf, dass sie irgendwo angekommen sind, wo sie gar nicht hinwollten. Die Entwicklung vollzieht sich evolutionär, scheinbar wie von selbst.

Wird diese Entwicklung permanent reflektiert in ihrer Nützlichkeit oder Schädlichkeit für Identität und Auftrag der Organisation, so lässt sich diese Art der Evolution im Idealfall in Richtung einer systematischen Qualitätsentwicklung steuern. Daher basiert LQW auf Reflexion und Diskurs darüber, was sich in der Bildungsorganisation evolutionär vollzieht. So kann sichergestellt werden, dass sich die Organisation in die gewünschte Richtung entwickelt und ihr Verständnis von Guter Arbeit immer mehr verwirklicht.

Die Rolle der reflexiven Reflexion

Reflexion bedeutet nicht einfach Nachdenken, sondern ist ein relationaler Begriff, der mindestens zwei verschiedene Aspekte zueinander in ein Verhältnis setzt und bestimmt wird „in einem notwendigen Wechsel der Bewegung nach Außen und nach Innen“ (Schällibaum, 2001, S. 62). Ein reflektierendes Denken ist demnach eines, das unterschiedliche Gesichtspunkte betrachtet und dank dieser Denkbewegung zwischen verschiedenen Aspekten Neues hervorbringen kann.

Qualitätsentwicklung in (Weiter-)Bildungsorganisationen kann – wie dieser Artikel zeigen will – die Wahrscheinlichkeit gelingenden Lernens über die Gestaltung der Kontexte des Lernens erhöhen. Oder anders ausgedrückt: Der Zweck der Qualitätsentwicklung besteht darin, gute Bildungsarbeit zu leisten. Gute Arbeit ist daher neben der Identität und Praxis der Bildungsorganisation einer der wesentlichen Bezugspunkte, zwischen denen sich das reflektierende Denken bewegen kann, um Qualität so zu entwickeln, dass die Ermöglichungsbedingungen guter Arbeit geschaffen werden und gute Arbeit als Ergebnis wahrscheinlicher wird. Damit Qualitätsentwicklung nicht auf der Ebene vermeintlich universal gültiger Erfolgsrezepte und nachzuahmender Best-Practice-Beispiele verbleibt, sondern organisationsspezifisch wird, muss noch das Element der Reflexivität hinzukommen. Reflexiv bedeutet zunächst nichts anderes als in Beziehung zu sich selbst stehend. Reflexivität als die Möglichkeit, sich auf sich selbst zu beziehen, beantwortet in der Qualitätsentwicklung die Frage danach, was die Qualitätsarbeit mit der eigenen Organisation und ihren Mitarbeitenden zu tun hat und wie die Qualitätsmaßnahmen dazu beitragen können, die organisationale Identität und das Verständnis gelungenen Lernens auszudrücken und weiterzuentwickeln (Zech & Dehn, 2017, S. 144 ff.).

Reflexive Reflexion ist daher das Mittel zum Zweck wirksamer Qualitätsentwicklung. Für eine systematische Qualitätsentwicklung ist es unerlässlich, Diskurse unter den Beteiligten zu organisieren und Reflexionsräume zu schaffen. Dann können mit Blick auf die eigene Definition gelungenen Lernens die organisationalen Strukturen und Instrumente so reflektiert und weiterentwickelt werden, dass sie als Kontexte des Lernens das Gelingen des Lehr-Lern-Prozesses immer wahrscheinlicher machen.

Weitere Informationen zur Lerner- und Kundenorientierten Qualitätsentwicklung finden Sie auf www.artset.de und im Qualitätsportal: www.qualitaets-portal.de.

Qualitätsentwicklung aus Perspektive der Lehrenden?

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem  Thema Qualität, Qualitätsentwicklung und -sicherung in der Erwachsenen- und Weiterbildung? Wie wirken sich  Auftrag und Identität einer Organisation auf die Lehr-Lern-Bedingungen aus?  Welche Rolle spielen Werte im Umgang mit Lehrenden und Lernenden?  Wie könnten freiberuflich Lehrende in Qualitätsentwicklungsprozesse eingebunden werden?   Wieviel Freiheit und wieviel organisationale Unterstützung und Struktur brauchen Honorarkräfte für gelungenes Lehren? Was wird immer wieder vernachlässigt, wenn es um gelungenes Lernen geht?

CC BY-SA 3.0 DE by Claudia Dehn für wb-web (27.08.2020), letztmalig geprüft am 02.07.2024


Quellen
  • Erpenbeck, J. (2012). Was »sind« Kompetenzen? In W. G. Faix (Hrsg.): Kompetenz. Festschrift Prof. Dr. John Erpenbeck zum 70. Geburtstag. Band 4 (S. 1–58). Stuttgart: Steinbeis-Edition
  • Hattie, J. (2013): Lernen sichtbar machen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag,  Hohengehren
  • Schällibaum, U. (2001): Reflexivität und Verschiebung. Wien: Passagen
  • Zech, R. (2017): Lernerorientierte Qualitätsentwicklung in der Weiterbildung. Leitfaden für die Praxis. Modellversion 3. 6. korrigierte Auflage. Hannover: Eigener Druck bzw. zum kostenfreien Download verfügbar unter: www.qualitaets-portal.de
  • Zech,, R. & Dehn, C. (2017): Qualität als Gelingen. Grundlegung einer Qualitätsentwicklung in Bildung, Beratung und Sozialer Dienstleistung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht

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