Peter Brandt Blog

Nationale Weiterbildungsstrategie – Was dürfen Lehrende erwarten?

Seit Juni 2019 ist die Nationale Weiterbildungsstrategie (NWS) veröffentlicht. Derzeit laufen Beratungen zur Umsetzung an, was naturgemäß all die auf den Plan ruft, die sich in den Prozess einbringen wollen. So hat z.B. die GEW ihre Herbstakademie Ende Oktober in Frankfurt am Main der NWS gewidmet. In diesem Fahrwasser haben nun auch die Böll- und Bertelsmann-Stiftung zu einer gemeinsamen Fachtagung unter dem Titel „Weiterbildung 4.0 Wie weit trägt die Nationale Weiterbildungsstrategie?“ nach Berlin geladen. Die Veranstalter wollten dabei die NWS „mit Expert/innen aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Verbänden sowie Trägern der Weiterbildung diskutieren, Vorschläge zu ihrer Implementierung entwickeln und den nun anstehenden Umsetzungsprozess konstruktiv begleiten“, wie es in der Ankündigung hieß. Welche Erkenntnisse lieferte diese Konferenz für die Zielgruppe von wb-web, also die Trainer, Kursleiterinnen, Dozenten und alle anderen Lehrenden?

Welche Rolle spielen die Lehrenden in der Strategie?

Im Strategiepapier ist dem Weiterbildungspersonal eines von zehn Kapiteln gewidmet, das neunte. Es enthält folgende programmatische Passage (S.  20):

"Die Digitalisierung der Arbeitswelt verändert Arbeitsaufgaben sowie Qualifikations- und Fachkräftebedarfe. Damit stellt sie auch neue Anforderungen an das pädagogische Fachpersonal in der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Trainerinnen und Trainer sowie Personal- und Weiterbildungsverantwortliche sind derzeit nicht nur vor die Herausforderung gestellt, auf eine zunehmend digitalisierte Arbeitswelt vorzubereiten, sie müssen auch verstärkt in der Lage sein, moderne Informations- und Kommunikationstechnologien zur Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen zu nutzen. Die Nationale Weiterbildungsstrategie hat zum Ziel, das Weiterbildungspersonal, das für die Qualität der Lernangebote entscheidend ist, bei der Bewältigung der neuen Anforderungen zu unterstützen – z.B. durch Qualifizierungsmaßnahmen. Dazu gehören auch angemessene Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für das Weiterbildungspersonal."

Um es kurz zusammenzufassen: Zur Bewältigung des digitalen Wandels benötigt Deutschland „digital kompetente“ Weiterbildner. Hierzu soll das Weiterbildungspersonal fortgebildet werden und zu angemessenen Bedingungen arbeiten können.

Schaut man in die konkret im Text vorgeschlagenen Maßnahmen (S. 20f.), so folgt auf eine hierzu ggf. entstandene Euphorie gleich wieder Ernüchterung. Sicher: gegen eine Fortbildungsoffensive zu Herausforderungen der digitalen Bildung wird niemand etwas haben können – zumal wenn sie in eine Zusatzqualifikation mündet. Denn eine Analyse der Daten des wb-Personalmonitors hat zeigen können, dass Zusatzqualifikationen einen (schwach) positiven Einkommenseffekt haben (Schrader/Loreit 2018). Auch deutet es in eine richtige Richtung, wenn Bundesländer weiter an der Professionalisierung in Alphabetisierung und Grundbildung arbeiten. Das ist aber nicht neu. Spannend hätte es bei der „Verbesserung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ des Personals werden können. Hier gibt es aber nur einen recht unkonkreten Prüfauftrag an Bund und Länder inkl. Sozialpartner.

Wie hat sich dieses Bild, das sich aus der Lektüre des Papiers ergibt, durch die Berliner Tagung verändert? Julia Borggräfe, Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, identifizierte in ihrem einleitenden Vortrag zur NWS vier Themenschwerpunkte – das Personal und seine Beschäftigungssituation waren nicht dabei. Sie nannte auch die Schwerpunkte, denen sich in den nächsten Monaten sog. Themenlabore der NWS widmen würden – auch da: Fehlanzeige. (Allerdings soll es ein Themenlabor zur Qualitätssicherung in der beruflichen Weiterbildung geben, vielleicht spielen das Personal und seine Qualifikationen dort eine Rolle.) Von den Veranstaltern war das Personal aber als eines von fünf Feldern ausgesucht worden, denen sich Impulse und ausführliche Workshop-Diskussionen widmeten. Unterstrichen wurde diese Auswahl durch ein App-gestütztes Ranking durch die Konferenzteilnehmer/innen, bei dem das Personal-Thema auf Platz 2 landete.

Impuls zum Personal

Zu dem Personal-Impuls war das DIE von den Veranstaltern gebeten worden, und ich möchte kurz wiedergeben, was ich (für das DIE) dort vorgeschlagen habe: eine Kompetenzoffensive für das Weiterbildungspersonal, bestehend aus vier Bausteinen: Kompetenzen (1) erwarten, (2) nachweisen, (3) entwickeln und (4) honorieren.

Vier Bausteine einer Kompetenzoffensive für das Weiterbildungspersonal

Vier Bausteine einer Kompetenzoffensive für das Weiterbildungspersonal

Der Vorschlag beruht auf folgenden Überlegungen:

  • Mit dem Hinweis auf die Digitalisierung werden seitens der NWS Kompetenzerwartungen formuliert, für die es offenbar einen staatlichen Anreiz gibt. So etwas ist immer ein Türöffner für verbesserte Honorierungen.
  • Zugleich argumentiert die NWS in den Teilen, die sich nicht auf die Beschäftigten der Weiterbildung beziehen, sondern auf die anderen Arbeitsmärkte, stark mit der Anerkennung informell und non-formal erworbener Kompetenzen. So scheint es doch folgerichtig, diese Dynamik auch im eigenen Hause anzuwenden, also in der Weiterbildung. Erfolgreiche Weiterbildner verfügen über breite Kompetenzen, aber nur wenige sind formal pädagogisch qualifiziert.
  • Damit Weiterbildner nicht in die Defensive geraten, wenn sie nur an ihren „Digitalkompetenzen“ gemessen werden, sollten sie die Gelegenheit nutzen und ihre Stärken ausspielen, nämlich neben ihren fachlich-inhaltlichen auch ihre erwachsenenpädagogischen Kompetenzen.
  • Sie sollten dafür vorhandene Nachweisinstrumente  nutzen, die zugleich – weil sie den Rückhalt ganz unterschiedlicher Trägerbereiche haben – das Potenzial besitzen, einen einheitlichen Begriffsrahmen zu schaffen. Das wiederum stärkt die Erwachsenen- und Weiterbildung als 4. Säule – gegen alle Versuche der NWS, die Weiterbildung mit der Berufsbildung zusammenzudenken.
  • Honorarstrukturen sollten mehr als bisher an vorhandene Kompetenzen geknüpft sein. Aber wie diesen Schritt etablieren? Es könnte modellhaft erprobt werden, welche Dynamik es erzeugt, wenn Nachfrager von Trainingsleistungen (also z.B. Einrichtungen oder Träger) gezielt Kompetenzen erwarten, deren Entwicklung unterstützen und die nachgewiesenen Kompetenzen adäquat entlohnten. Finanzielle Anreize für solche Selbstverpflichtungen sollten im Zuge der NWS gegeben werden.
  • Ein solches Vorgehen setzt zwar zunächst „nur“ auf erhöhte Professionalität der einzelnen Akteure, schafft aber Bedingungen, unter denen die Türen für eine kollektive Professionalisierung offenbleiben. Zum Beispiel stärkt es die Lehrenden soweit, dass sie sich vielleicht doch einmal in einem trägerübergreifenden schlagkräftigen Berufsverband organisieren.

Wie wurde der Impuls anschließend diskutiert?

Von Gewerkschaftsseite wurde erwartungsgemäß kritisiert, dass hier den Lehrenden wieder eine zusätzliche Last aufgebürdet wird, nämlich den Nachweis ihrer Kompetenzen zu erbringen. Dem kann entgegengehalten werden, dass dieser Kompetenznachweis über Gutscheine öffentlich finanziert werden könnte und als Investition in die eigene Biografie wertvoll sein kann.

Anwesende Praktiker (ja, es waren auch Lehrende da!) berichteten, dass schon jetzt unter den Vorzeichen der Digitalisierung diejenigen Lehrenden, die über hohe digitale Kompetenzen verfügen, erhebliche Marktvorteile hätten (= größere Stundenvolumina, höhere Honorare). Eine Umfrage an Berliner VHSen – so eine Teilnehmerin – bestätigt, wie groß der Bedarf an digital kompetenten Kursleitenden ist. Daran schloss die Frage an, ob überhaupt noch erwachsenenpädagogische Kompetenzen gebraucht würden, wenn entsprechende „Digitalkompetenzen“ vorlägen. Angesichts dieser „disruptiven Sichtweise“ gewann mein Vorschlag wieder an Plausibilität, denn wie sollte eine Trainerin etwa die Eignung digitaler Lehrmethoden beurteilen – wenn nicht vor dem Hintergrund ihrer pädagogischen Erfahrung, mithin ihren professionellen Kompetenzen?

Die Diskutanten der Berliner Tagung waren an diesem Punkt nah dran an der Frage, was denn eigentlich die „neue Weiterbildungskultur“ sein soll, der sich die NWS so vehement verschrieben hat (vgl. NWS, S. 2, 3, 5, 15): eine im Sinne pädagogischer Handlungskompetenz professionelle Weiterbildung, die die Zeichen des digitalen Zeitalters erkannt und sich entsprechend fit gemacht hat? Oder eine Szene von Hipstern aus Startups, deren Kerngeschäft das leichtgängige maximal alltags- und jobfunktionale Lernvideo ist? Letztere Position scheint zumindest im Dunstkreis der NWS durchaus hoffähig zu sein – was einen Teilnehmer zu der zugespitzten Frage anregte: Braucht Bildung Pädagogen?

Welche Auswirkung die NWS nun auf die Lehrenden haben wird, konnten auch die Teilnehmenden der Berliner Tagung nicht vorhersehen. Ein Bundesrahmengesetz zur Weiterbildung, das einen Großteil der heute frei- und nebenberuflich Lehrenden in eine unbefristete Festanstellung mit einem Honorar auf Akademikerniveau bringen wird, ist mit NWS fast so unwahrscheinlich wie ohne. Klar ist, dass digitale Kompetenzen im Feld der Lehrenden eine entscheidende Rolle spielen werden. Diejenigen, die über diese Kompetenzen verfügen, werden mehr und besser bezahlt arbeiten können, wenn sie dies wollen. Dies führt dann unweigerlich zu einer Strukturveränderung des Weiterbildungspersonals. Wenn damit die aus dem analogen Zeitalter überlebenden und pädagogisch erfolgreichen Lehrenden nicht aus dem Feld gedrängt werden sollen, müsste die Landschaft über flächendeckende Nachweise pädagogischer Kompetenz ernsthafter nachdenken als bisher. Und sie müsste sagen, für welche Aufgaben sie welche Kompetenzen in welcher Ausprägung erwartet. Die NWS wäre die Gelegenheit, die für diese kollektive Anstrengung erforderlichen Mittel bereitzustellen.

Literatur:

Die Nationale Weiterbildungsstrategie (2019), online 

Schrader, J. & Loreit, F. (2018). Professionalisierung bei Lehrkräften der Erwachsenen- und Weiterbildung: individuelle und kollektive Perspektiven. In R. Dobischat, A. Elias & A. Rosendahl (Hrsg.), Das Personal in der Weiterbildung: im Spannungsfeld von Professionsanspruch und Beschäftigungsrealität (S. 283–308). Wiesbaden: Springer VS.

CC BY SA 3.0 DE by Peter Brandt für wb-web.