Insbesondere in politischen Diskursen fallen immer wieder Begriffe wie „digitale Bildung“, „digitale Kompetenzen“ oder „digitales Lernen“ bis hin zu „digitale Exzellenz“ (vgl. Rede von Sven Volmering, CDU/CSU, am 27.03.2015). Der Begriffszusatz „digital“ bleibt hier jedoch unscharf. Was zeichnet eine „digitale Bildung“ aus? Haben wir es hier einfach ‚nur’ mit einer digitalisierten Form von Bildung zutun? Handelt es sich hier um Bildung, die mit Hilfe von digitalen Medien stattfindet? Oder einer Bildung, welche in einer zunehmend von digitalen Medien durchdrungenen Welt und so eine Auseinandersetzung mit diesen erfordert? Inwiefern ist hier überhaupt eine Trennung möglich oder sinnvoll?
Digitale Bildung: Lernen (und Kompetenzerwerb) ist (sind) nicht gleich Bildung
Nimmt man es mit Winfried Marotzki (2006), ist zwischen Bildung und Lernprozessen zu unterscheiden. Anders als bei Lernprozessen, handelt es sich bei Bildung nicht allein um eine Erweiterung von Kenntnissen und Fertigkeiten, sondern um eine darüber hinausgehende Veränderung von bestehenden Deutungs- und Wissensstrukturen aufgrund tiefergehender Reflexionsprozesse. Bildung steht somit nicht allein für ein Mehr an Wissen und Können, sondern für die Weiterentwicklung der Person in einer gegebenen Umwelt.
Ein derartiges Verständnis von Bildung macht deutlich, dass der Begriff der digitalen Bildung nicht unhinterfragt in Diskurse um die Notwendigkeit von Medienkompetenzen übernommen und nicht gleich von messbaren Medienkompetenzen auf das Vorhandensein von Medienbildung geschlossen werden sollte.
Digitale Bildung: Bildung als Verortung der eigenen Person in einer digitalisierten Welt
Was nun unter digitaler Bildung zu verstehen ist, kann, je nachdem welcher Stellenwert digitalen Medien beigemessen wird, unterschiedliche beantwortet werden:
Einerseits kann der Fokus auf digitale Medien als neue Räume bzw. Möglichkeiten für Bildungsprozesse gelegt werden. Aus dieser Perspektive stellt sich für die Praxis der Erwachsenenbildung die Frage, wie digitale Medien genutzt werden können, um allgemeine Bildungsprozesse zu unterstützen, beispielsweise indem das Internet zur kritischen Auseinandersetzung mit verschiedenen Thematiken genutzt wird (vgl. Marotzki & Jörissen 2010).
Andererseits kann kritisch hinterfragt werden, inwiefern eine zunehmende Durchdringung von Lebenswelten durch digitale Medien nicht eine grundsätzliche Erweiterung des Verständnisses von Bildung erfordert, Bildung nicht mehr ohne das jeweilige Verhältnis zu diesen Technologien gedacht werden kann; sei es aufgrund des selbstverständlichen Einsatzes verschiedener Anwendungen und Geräte im Lebensalltag oder auch den bewussten Verzicht auf diese: Wer man ist und wie man sich selbst in der und zur Welt verortet, wird zunehmend auch von digitalen Medien bestimmt (vgl. Zorn 2014).
Besonders deutlich wird dies im Hinblick auf verbreitete Bilder von „Mediengenerationen“ oder altersgruppenspezifische Umgangsweisen mit digitalen Medien: Alter und/oder Generationszugehörigkeit werden hier als Ausgangspunkt für Erwartungen an den Umgang mit digitalen Medien genommen. Ob, wie und welche digitalen Medien genutzt werden wird daran gemessen wer man ist. Umgekehrt kann auch davon ausgegangen werden, dass der bei einem selbst bestehende oder bei anderen wahrgenommene Umgang mit diesen Medien wiederum das Selbstbild, Bilder von anderen und/oder das eigene Verhältnis zur Umwelt beeinflussen.
Digitale Bildung & Technologieverhältnis: Eine Frage der eigenen Verortung in einer digitalisierten Welt?
Wie sehr das Selbstverständnis, die eigene Verortung in der Welt und das Verhältnis zu digitalen Medien zusammenhängen zeigt sich in verschiedener Hinsicht in den 20 qualitativen Interviews, welche im Rahmen des DFG-geförderten Projektes IGEL-Media 2 (SCHM 2391/3-2) mit Personen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren zu ihrem Umgang mit digitalen Medien geführt wurden.
Die Bedeutung des Selbstverständnisses und der Wahrnehmung der Umwelt für das jeweilige Verhältnis zu digitalen Technologien, zeigt sich beispielsweise bei drei befragten Frauen (45 bis 55 Jahre), welche ihre eigene Nutzung von digitalen Medien damit begründen, dass sie nicht den Anschluss verlieren wollen:
„ich wollte ein Tablet, um nicht ganz so blöd zu sterben sozusagen. Weil ja irgendwie muss man ja auch mithalten können. Ja, weil die Jugend, die überholt einen ja im hm. Im Sauseschritt [...] Nicht mithalten sondern mitreden können. Auch wissen, über was unterhalten die sich eigentlich alle. Was ist das? [...] wie funktioniert das? Ja? Und so weiter. Ich habe mir auch ein Smartphone jetzt gekauft. Ich habe auch immer gesagt, ich brauche das nicht. Braucht man ja auch nicht. Man braucht es ja nicht. ABER man kann nicht mehr mitreden. Ja? Und dann ist wirklich blöd.“ (Interviewte, ca. 55 Jahre)
Umgekehrt ermöglichte in diesen Fällen die eigene Nutzung der Technologien wieder einen anderen Zugang zur Umwelt:
„erst seit ich das selber anwende und seit ich es mache halt so, dass ich so den Überblick habe. Und ich merke es auch, ich habe in meinem Freundeskreis, wo gleich alt sind wie ich, auch ein paar Bekannte, wo das noch nicht haben und die sind da auch die stehen auch wie vor einer Wand. Die wissen da auch nicht, wie es funktioniert. Gell? Und du merkst schon, dass immer mehr da dann schon auch drin rein kommen, wenn eben weil sie Kinder halt haben.“ (Interviewte, ca. 45 Jahre)
Noch deutlicher wird die Verbindung zwischen Selbst- und Fremdbildern und dem Technologieverhältnis bei den direkt und indirekt zum Ausdruck gebrachten Alters- und Generationenbildern: So wird das Vorhandensein einer Mediennutzung und die Vertrautheit mit digitalen Medien immer wieder mit dem Alter und/oder der Generationszugehörigkeit in Verbindung gebracht.
„Der große Unterschied ist nur, dass die jüngere Generation schon mit diesen Medien aufwächst […] in einem Kontext, in der Schule und so weiter, wo alle das benutzen und da ist ein riesiger Lerneffekt da. […] Und ich denke, dass […] viele Leute in meiner Altersgruppe sich vielleicht auch stärker mit der Frage beschäftigen, also wie nutze ich meine Zeit? Ja? Was ist mir vielleicht von der Zeit auch wertvoll? Und ja, da verschieben sich natürlich […] im Laufe des Lebens verschiedene Punkte […] und dann denke ich, ist auch der Zwang nicht so groß. […] ich könnte mir vorstellen, dass es auch Gruppen gibt, bei Jungen auch bei Kindern und so weiter, wo auch viele Verabredungen über sowas laufen und […] wenn man sich da nicht über das Netzwerk entsprechend einbringt und einfach nicht dabei ist, weil man es nicht weiß. Und das ist, denke ich, in meinem Alter nicht so. Ja? Da ist es eher noch häufiger so, dass man auch Termine persönlich verabredet.“ (Interviewter, ca. 55 Jahre).
Digitale Bildung in der Erwachsenenbildung: Chancen und Grenzen einer Berücksichtigung des Technologieverhältnisses
Die Frage nach dem Verständnis von Medienbildung wirft Fragen für die Praxis der Erwachsenenbildung auf: Was können und sollten hier Ziele und Inhalte von Angeboten der Erwachsenenbildung sein?
Wie wird Medienbildung verstanden? Als Eröffnung neuer Bildungsräume durch den Einbezug digitaler Medien? Als Angebote zur Weiterentwicklung des Technologieverhältnisses in Verbindung mit der Persönlichkeitsentwicklung? Inwiefern ist hier überhaupt eine Trennung möglich? Können Medien als Bildungsräume genutzt werden, ohne das jeweilige Verhältnis zu diesen Technologien zu berücksichtigen? Ohne an den (nicht-)digitalisierten Lebensalltag anzuschließen?
Auch stellt sich die Frage, welche Bedeutung Alters- und Generationenbildern vor diesem Hintergrund zukommt und wie eine Reflexion hier enthaltender Deutungsmuster wünschenswert ist (Mit welchen verbreiteten Alters- und Generationenbildern sehen sich Personen konfrontiert? Welchen persönlichen Nutzen verspricht man sich als Angehöriger einer Altersgruppe bzw. einer Generation? Welche Anstrengungen und Barrieren werden befürchtet?). Intergenerationell angelegte Bildungsangebote könnten eine Möglichkeit darstellen, bestehende Generationen- und Altersbilder zum Umgang mit digitalen Medien ins Bewusstsein zu bringen, zu reflektieren und somit Wissens- und Deutungsstrukturen im oben beschriebenen Sinne von Bildung weiterzuentwickeln. Doch gerade hier wird auch ein Fingerspitzengefühl gefragt sein, wenn es darum geht die verschiedenen Generationen mit ihren unterschiedlichen Zugängen zu digitalen Medien zu erreichen und zusammenzubringen.
Man darf gespannt sein, ob und wie es den verschiedenen Bildungseinrichtungen gelingen wird dem Einzug digitaler Medien in den verschiedenen Lebenswelten mit Konzepten und Angeboten im Sinne einer digitalen Bildung zu begegnen.
Insbesondere stellt sich die Frage nach erfolgreichen Projekten und Konzepten zur Förderung von Medienbildung z.B. für weniger medienaffine Zielgruppen. Welche Rolle spielt hierbei das Verhältnis des Bildungsträgers bzw. der Lehrenden selbst zu digitalen Medien?
Quellen:
Marotzki, W. (2006). Bildungstheorie und allgemeine Biographieforschung. In H.-H.Krüger & W. Marotzki (Hrsg.), Handbuch erziehungswissenschaftliche Biographieforschung. (S. 59-70).
Marotzki, W. & Jörissen, B. (2010). Dimensionen strukturaler Medienbildung. In B. Herzig, D. M. Meister, H. Moser & H. Niesyto (Hrsg.), Jahrbuch Medienpädagogik 8. Medienkompetenz und Web 2.0. Wiesbaden: VS Verlag (S. 19-39).
Zorn, I. (2014). Selbst-, Welt- und Technologieverhältnisse im Umgang mit Digitalen Medien. In W. Marotzki & N. Meder (Hrsg.), Perspektiven der Medienbildung. Wiesbaden: VS Verlag (S. 91-120).
Autoren:
Anika Klein, Bernhard Schmidt-Hertha
Professur für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt berufliche und betriebliche Weiterbildung
Universität Tübingen, Deutschland
Der Blog wurde ursprünglich auf EPALE unter der Lizenz CC-BY 4.0 am 23.06.2015 veröffentlicht.