Lars Kilian Blog

"Digital Literacy" - Versuch einer Begriffsbestimmung

Bild Tastatur mit losen Tasten

"Vinpok Taptek Keyboard" by TheBetterDay
CC BY-ND 2.0

Fähigkeiten, mit digitalen Medien umzugehen, sind in unserer Gesellschaft Grundlage für die Gestaltung des Lebens in allen Bereichen. Mit dem Begriff „Digital Literacy“ wird versucht, den Bildungsbereich zu fassen, der es Menschen ermöglicht, sich durch bzw. mit digitalen Medien zu informieren und zu kommunizieren. Doch was zeichnet diesen Begriff aus? Dieser Frage geht der nachfolgende Text nach.

Auf der Suche

Auf der Suche nach einer Bestimmung des Begriffs „Digital Literacy“ wird klar, dass dies gar nicht so einfach ist. Dies liegt zum einen an der Ausrichtung des Diskurses. Bestimm(t)en in Deutschland die Themen Alphabetisierung und Grundbildung die Diskussion, wurde auf internationaler Bühne das Literacy-Konzept tragend (vgl. Tröster und Schrader 2016, S. 42). Zum anderen ist es „Kennzeichen junger Disziplinen, dass sie noch nicht über einen konsensfähigen, eindeutigen Katalog von Begrifflichkeiten verfügen, nach treffenden Begriffen suchen und über Begriffe Kontroversen in den Fachdiskursen und in den Sichtweisen auf praktische Handlungsfelder austragen“ (Klein und Reutter 2012, S. 14), wie das Rosemarie Klein für „Digital Literacy“ festhält.

So entwickelte sich Ende der 1970er Jahre die Alphabetisierungsarbeit in Deutschland. Neben den Begriffen der ‚Alphabetisierung‘ und ‚Analphabetismus‘ wurde mit Blick auf die Zielgruppe der Erwachsenen der Begriff der ‚Grundbildung‘ eingeführt und erfährt aktuell eine Schärfung – auch durch die Debatte um Literacy-Konzepte (ebd.)

Von der Alphabetisierung…

Alphabetisierung wird als grundlegende Bedingung für Grundbildung angesehen. Durch Alphabetisierung erhalten Lernende die Möglichkeit der kognitiven Aneignung der Realität. Zugleich ist Alphabetisierung ein Teil der Grundbildung, „weil in literalen Gesellschaftsformen die schriftsprachliche Bildung ein zentraler Bestandteil der Allgemeinen Bildung ist“ (Schröter 2012, S. 6–7). Dabei zeichnet sich Alphabetisierung dadurch aus, dass sie ein zielgerichteter Lernprozess ist. Es gibt einen klaren definierten Anfang und „einem auf Konventionen basierenden Ende“ (ebd., S. 6). Mit Alphabetisierung wird üblicherweise die Vermittlung von Lese- und Schreibfähigkeiten assoziiert.

…über die Grundbildung…

Demgegenüber wird mit Grundbildung ein offenes und umfangreiches Curriculum verbunden (vgl. Linde 2007, S. 90). Der Begriff Grundbildung rückte in den 1990er Jahren zunehmend in den Vordergrund, da die Gesellschaft vielfältigere und komplexe Fähigkeiten von den Mitgliedern erwartete. Auf der Bundesfachkonferenz Grundbildung in Deutschland 2015 wurde festgestellt, dass Grundkompetenzen nicht länger auf Lesen und Schreiben beschränkt bleiben sollen, sondern dass aktive Teilhabe an der Gesellschaft weitere Grundkompetenzen erforderlich machen (vgl. Wolf und Koppel 2017, 03-4 - 03-5). Somit gehört Grundbildung zum Lebenslangen Lernen und ist ein prinzipiell unabgeschlossener Bildungsprozess. Grundbildung lässt sich nicht messen, sondern wird aufgrund von „Werturteilen“ (vgl. Schröter 2012, S. 6) zugeschrieben.

…zu Literacy

Literalität sagte zunächst aus, ob jemand eine Fertigkeit hat oder er sie nicht hat. In den folgenden sogenannten ‚New Literacy Studies‘ wurde deutlich, dass weitere Perspektiven einzubeziehen sind und Literalität nie abgeschlossen ist. Ein aktives Verständnis im Sinne der Teilhabe an Gesellschaft entwickelte sich. Konzepte der Literalität als Form sozialer Praxis mit Fokus auf verschiedene Lebensbereiche, in denen Lese- und Schreibfertigkeiten unterschiedliche Ausprägungen hatten, gewannen an Bedeutung (vgl. Wolf und Koppel 2017, S. 3–5; Mania und Tröster 2018, S. 12). Literalität ist an gesellschaftlich gesetzte (Mindest-)Standards gekoppelt und unterliegt dem Wandel der Zeit. So war die Fähigkeit, mit eigenem Namen unterschreiben zu können, Anfang des 20. Jahrhunderts noch ein Kriterium für Literalität (vgl. Linde 2007, S. 91).

Literacy wird im englischen Diskurs weiter gefasst, als der Begriff der Literalität im Deutschen. Während im Deutschen eher die Schriftkultur in den Blick genommen wird, bezeichnet Literacy eine allgemeine, normativ gewendete Basiskompetenz, die kulturunabhängig erworben und verbreitet werden kann. Sie ist dem Einzelnen als Vorbedingung für die gesellschaftliche Teilhabe an entwickelten, schriftlich organisierten Gesellschaften auferlegt. Ein erweitertes Literacy-Konzept umfasst neben den Lese- und Schreibkompetenzen insbesondere die Fähigkeit im Umgang mit Wissen – vom Zugang über die Integration und das Management bis zur Evaluation (vgl. ausführlich in Tröster und Schrader 2016, S. 51–52).

Digital Literacy

Digital Literacy zu definieren, ist nach den vorangestellten Ausführungen schwer, da der Begriff abhängig von den damit verbunden sozialen Praxen, Standards oder Zeiten ist. Hinzu kommt, dass digitale Medien im deutschen Theoriediskurs zur Grundbildung nur eine untergeordnete Rolle spielen, weshalb an dieser Stelle kaum auf Konzepte und spezifische Ansätze zurückgegriffen werden kann.

Aus den allgemeinen Ansätzen lässt sich jedoch ableiten, dass Digital Literacy es dem Individuum ermöglicht, Wissen durch Information und Kommunikation über digitale Medien zu erwerben und zu teilen. Der Zugang zu Wissensressourcen mit Hilfe digitaler Medien, die Integration und das Management des Wissens sowie die Evaluation sind dabei zu berücksichtigen. Digital Literacy stellt somit eine Grundlage der erfolgreichen Teilhabe in einer Gesellschaft dar, die zunehmend durch digitale Medien, Techniken und Prozesse durchdrungen wird.

Einer universellen bzw. vereinheitlichten inhaltlichen Ausstattung entzieht sich Digital Literacy aus oben genannten Gründen. Ansätze, Inhalte zu definieren und zu prüfen, finden sich z.B. in entsprechenden Studien. Verwiesen sei hier z.B. auf die PIAAC Studie der OECD, in der technologiebasierte Problemlösekompetenzen bei Erwachsenen erhoben wurden. Diese sind definiert als die Kompetenz, digitale Technologien, Kommunikationshilfen und Netzwerke erfolgreich für die Suche, Vermittlung und Interpretation von Informationen zu nutzen. Die ICLIS Studie zur Untersuchung von computer- und informationsbezogenen Kompetenz bei Schülern berücksichtigten bezüglich der ICT-Literacy (Information und Computertechnologie) technische Kompetenz und Informationskompetenz. Technische Kompetenz wird verstanden als grundlegendes Funktionswissen über Programmanwendung. Informationskompetenz meint die Fähigkeit, mittels digitaler Medien Informationen zu ermitteln, kritisch auszuwählen und effektiv zu nutzen aber auch zu erzeugen.

Digital Literacy als Herausforderung und Gegenstand der Weiterbildung

Da Digital Literacy nicht messbar ist, können auch keine klaren empirischen Befunde geliefert werden. Allerdings geben Studien, die Bereiche von Digital Literacy zu erfassen versuchen, Auskunft über (nicht) vorhandene Kompetenzen. So zeigte die Schülervergleichsstudie ICILS (2013), dass in Deutschland 30% eines Jahrgangs lediglich über rudimentäre Fertigkeiten und basale Wissensbestände im kompetenten Umgang mit neuen Technologien und digitalen Informationen verfügen und als „funktionale digitale Analphabeten“ bezeichnet werden können. In der PIAAC Studie wurden unter anderem technologiebasierte Problemlösekompetenzen Erwachsener erhoben. Fast die Hälfte der Bevölkerung erlange nur Stufe I oder niedriger, weitere knapp 18% hatten keine Computererfahrung oder bestanden die IT-(Vor-)Übung des Tests nicht (vgl. Wolf und Koppel 2017, S. 3). Darüber hinaus konnten Personen ohne Computererfahrung auch deutlich schlechtere Lesekompetenzen vorweisen. „Es ist somit davon auszugehen, dass insbesondere erwachsene Personen mit geringer literaler Grundbildung auch weniger Computererfahrungen und somit eine geringere Medienkompetenz besitzen“ (ebd.). 

Der digitale Wandel in unserer Gesellschaft lässt Digital Literacy zu einem zentralen, sich in andere Lerngegenstände integrierenden Konzept aller Weiterbildungsbereiche werden. Da immer größere Bereiche des Wissens über digitale Medien – wie wb-web – erworben werden, stellt Digital Literacy zugleich eine zentrale Grundlage für jeden Einzelnen dar, um den Prozess des lebenslangen Lernens erfolgreich zu gestalten.

Welche Meinung haben Sie zur Bedeutung digitaler Medien in der Erwachsenen- und Weiterbildung? Teilen Sie den Eindruck, dass Digital Literacy ein Zukunftsthema werden wird? Oder ist es schon in Ihrem Bildungsalltag angekommen? Diskutieren Sie mit uns im Forum auf wb-web.

Quellen

 Klein, R.; Reutter, G. (2012): Alphabetisierung - Grundbildung - Literalität. Über die Schwierigkeit, angemessene Begriffe zu finden. In: Alfa-Forum (79), S. 14–17.

Linde, A. (2007): Aphabetisierung, Grundbildung oder Literalität? In: Anke Grotlüschen (Hg.): Literalität, Grundbildung oder Lesekompetenz? Beiträge zu einer Theorie-Praxis-Diskussion = Literacy, basic education or reading competencies? Münster, New York, München, Berlin: Waxmann, S. 90–99.

Mania, E.; Tröster, M. (2018): Inhaltsbereiche der Grundbildung: Stand und Herausforderungen. In: Grundbildung lebensnah gestalten. Fallbeispiele aus den regionalen Grundbildungszentren in Niedersachsen. Bielefeld: wbv (Aktuelles aus der Erwachsenen- und Weiterbildung), S. 11–20.

Schröter, J. (2012): Alphabetisierung versus Grundbildung - ein notwendiger Gegensatz. Weder dasselbe noch das Gleiche… In: Alfa-Forum (79), S. 6–8.

Tröster, M.; Schrader, J. (2016): Alphabetisierung, Grundbildung, Literalität: Begriffe, Konzepte, Perspektiven. In: Cordula Löffler und Jens Korfkamp (Hg.): Handbuch zur Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener. 1. Auflage. Stuttgart: UTB GmbH; Waxmann, S. 42–58.

Wolf, K. D.; Koppel, I. (2017): Digitale Grundbildung. Ziel oder Methode einer chancengleichen Teilhabe in einer mediatisierten Gesellschaft? : Wo wir stehen und wo wir hin müssen. In: Magazin Erwachsenenbildung.at : das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs 11 (30), 03-1 - 03-10. Online verfügbar unter https://erwachsenenbildung.at/magazin.

CC BY-SA 3.0 by Lars Kilian für wb-web (2019).


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