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Architektur aus Sicht der Bildungstheorie: Anforderungen an Bildungsräume
Architektur und Lebenswelt
Darüber hinaus könnte der Bildungsraum des Bildungshauses durch institutionelle Vernetzung bis in die Lebenswelt hinein geöffnet werden, z. B. durch Kooperationen mit wissenschaftlichen Bibliotheken (vgl. Trumann 2008), durch Vernetzung mit anderen Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie Institutionen des Arbeitsmarktes. Dies wäre eine Fortsetzung der bisherigen Integrationsbewegung von Bildungshäusern, die in den 1970er Jahren durch die räumliche Zusammenlegung mit Bibliotheken und einer größeren Raumverfügbarkeit für die Volkshochschule begann und aktuell durch die Integration der Bildungsangebote entlang der Nutzererwartungen bestimmt ist. Zukünftig ginge es darum, lebensweltliche Problemlagen durch entsprechende Raumstrukturen zu integrieren. In den Planungsgesprächen mit den Architekten wäre also zu prüfen, wie Bildungshäuser mit ihrer Raumgestalt möglichst flexibel in die Lebenswelt hinein vernetzt werden können, um Erwachsenenbildung als lebensweltbezogenen Erkenntnisprozess zu gestalten.
„Erwachsenenbildung als lebensweltlicher Erkenntnisprozess“
Erwachsenenbildung als lebensweltbezogener Erkenntnisprozess versteht Lernen als Selbst- und Weltverständigungsprozess (vgl. Ludwig 2004) und impliziert die Transformation subjektiver Wirklichkeit. Erwachsenenbildung ist als lebensweltbezogener Lern- und Erkenntnisprozess eine wechselseitige Übersetzung zwischen den Sinnwelten der subjektiven und der objektiven Wirklichkeit, um problematisch gewordene oder anstehende Entscheidungen zu begründen (vgl. Schmitz 1989, S. 73ff.). Erwachsenenbildung unterstützt die Selbstverständigungsprozesse der Bildungsteilnehmenden, indem sie ihnen neue Perspektiven und neues Wissen vermittelt. Ein Bildungshaus hätte für diese Selbst- und Weltverständigungsprozesse Spielräume und „Zwischenräume“ (Girmes 1999, S. 93) zu bieten für das Formulieren und Realisieren neuer Begründungszusammenhänge und Handlungsoptionen. „So gesehen wäre der Raum der Bildung im doppelten Sinne ein Zwischenraum: einer zwischen Vergangenheit und Zukunft und zugleich einer, in dem den Kräften, die das Leben ausmachen, Einfluß eingeräumt und zugleich auch Einhalt geboten wird dadurch, daß der Raum der Bildung als Zwischenraum Weite gibt für das Entwickeln eines eigenen Standpunkts, einer eigenen Form, einer eigenen Lebensweise, eben einer entfalteten Gegenwart“ (ebd.).
Räume stellen Bezug und Distanz zur Lebenswelt her, um die Selbstverständigung der Teilnehmenden mit Blick auf Probleme in ihrer Lebenswelt zu unterstützen. Die wechselnden Verhältnisse von Bezug und Distanz zur Lebenswelt müssen räumlich realisierbar sein, und sie stellen zugleich eine professionelle Herausforderung für die Lehrenden dar. Aus dieser bildungstheoretischen Perspektive betrachtet, liegt der Fokus zur lernförderlichen Wirkung von Räumen auf der Schaffung von Zwischenräumen im Sinne von Experimentierfeldern für die Selbst- und Weltverständigung bzw. für die Transformation subjektiver Bedeutungshorizonte. Die Lernförderlichkeit von Räumen wird aus dieser bildungstheoretischen Perspektive an den (sowohl räumlich als auch professionell gegebenen) Lernunterstützungsmöglichkeiten für die Transformation subjektiver Wirklichkeiten festgemacht und nicht allein an den Sinneseindrücken des gestimmten Raums.
Literatur
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(Stand: 08.08.2023)
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Zinnecker, J. (1975). Der heimliche Lehrplan. Untersuchungen zum Schulunterricht. Weinheim
Themennetz Lernorte
Dossier Kursplanung
Die Planung eines Kurses erfordert ein ähnliches Vorgehen wie das Kochen eines Menüs. Auf den ersten Blick erscheint es einfach – Zutaten besorgen, nach Rezept anrichten und fertig ist ein leckeres Essen. Sieht man näher hin, ergeben sich allerdings Fragen, die gar nicht so einfach zu beantworten sind: Wie soll eine gute Zutat eigentlich aussehen? Was schmeckt jedem Einzelnen der Gäste? Was bedeutet bloß „sautieren“? Wie häutet man einen Fisch? Ein Dossier zur Konzeption von Kursen, Seminaren und Workshops.
Lernort: Der Ort bestimmt entscheidend die Qualität des Lernens
Wo passiert Lernen? In
einem zugigen, schlecht beleuchteten Klassenraum, in der Straßenbahn mit dem
Buch auf den Knien, zwischen den unendlichen Buchreihen einer Bibliothek, in
der App auf dem Smartphone – oder doch eigentlich nur im Kopf des Lernenden
selbst? Auf die Frage nach dem Ort oder dem Raum des Lernens gibt es viele
Antworten. Die interessantesten und wichtigsten für Weiterbildnerinnen und
Weiterbildner fasst dieser Wissensbaustein zusammen.